Wuligers Woche

Gerechte und Selbstgerechte

Eine polnische Bürgerinitiative bringt die Botschaft auf Europas Straßen, dass ihre Landsleute keine Antisemiten sind oder je waren. Foto: #respectus

Falls Ihnen in den kommenden Tagen ein Lkw mit der großflächigen Aufschrift »RespectUs« begegnet: Nein, das ist keine Lieferung von Olivenöl der Firma Genco des Paten Don Vito Corleone (»Du zeigst mir keinen Respekt«). Es sind auch keine migrantischen Jugendlichen (»Ey, Respekt, Digga!«). Die Lastwagen kommen aus Polen. Eine dortige Bürgerinitiative hat sie gechartert, um auf die Straßen Europas die Botschaft zu bringen, dass ihre Landsleute keine Antisemiten sind oder je waren.

»Während des Zweiten Weltkriegs haben Polen über 100.000 Juden gerettet«, steht unter der Aufforderung zum Respekt zu lesen. »Lastwagen, die an die offensichtlichen Fakten der Weltgeschichte erinnern, werden Deutschland und andere europäische Länder buchstäblich überfluten«, hat Kampagnengründer Marek Misko angekündigt.

Umfrage In Deutschland wird die rollende Geschichtsaufarbeitung freilich auf harte Konkurrenz treffen. Hier haben nämlich noch viel mehr Menschen im Dritten Reich Juden gerettet. Meinen jedenfalls ihre Nachkommen. In einer kürzlich veröffentlichten repräsentativen Umfrage der Universität Bielefeld gaben 18 Prozent der Befragten an, ihre Vorfahren hätten während der Schoa Opfern geholfen und beispielsweise Juden versteckt. Bei rund 70 Millionen Deutschen damals (Österreich und das Sudentenland nicht mitgerechnet) würde das bedeuten, dass 12,5 Millionen Bürger des Dritten Reichs aktiv Hilfe geleistet hätten.

Gut, rechnen wir mal, dass es jeweils Familien von im Schnitt fünf Personen waren. Dann blieben immer noch 2,5 Millionen Judenretter. Und gehen wir weiter davon aus, dass die Befragten möglicherweise weitläufig miteinander verwandt sind und ein und dieselben heldenhaften Vorfahren hatten, käme man immer noch auf mindestens rund eine Million deutsche »Gerechte unter den Völkern«. Nun lebten 1933 in Deutschland allerdings nur etwa 500.000 Juden. Rund 350.000 von ihnen konnten rechtzeitig flüchten. 150.000 wurden er­mordet. Maximal 5000 haben tatsächlich im Untergrund überlebt. Und jeder von denen hatte offenbar mindestens 200 Helfer.

Neu ist das Phänomen nicht. Schon bei den Entnazifizierungsverfahren nach 1945 wunderten sich die zuständigen Spruchkammern, dass es im Dritten Reich fast mehr angebliche Judenretter gegeben hatte als NSDAP-Mitglieder. Fairerweise sollte man sagen, dass das keine spezifisch deutsche Erscheinung war.

Opfer?
Im benachbarten Frankreich schwoll nach der Befreiung die Zahl der Résistance-Kämpfer auf mindestens die Hälfte der Bevölkerung an. Ebenso in Belgien, den Niederlanden und anderen von den Nazis besetzten Ländern. Nicht zu vergessen Österreich, nach eigener Darstellung »das erste Opfer Hitlers«. Und alle hatten sie natürlich Juden geholfen.

Bleibt nur zu hoffen, dass das polnische Beispiel nicht Schule macht und die Gerechten ganz Europas jetzt Lkws zur nationalen Ehrenrettung auf Tour schicken. Die Autobahnen sind auch so bereits verstopft genug.

Biografie

Autogramme, die die Welt bedeuteten

Wie die Fußballleidenschaft von Tom Tugend das Leben des jüdischen Journalisten prägte

von Martin Krauß  06.07.2025

Britische Band »Oi Va Voi«

»Das schlagende Herz des Albums«

Die Musiker haben den Song »Dance Again« in ihrem neuen Album den Opfern des Nova-Festivals gewidmet. Ein Gespräch über Mitgefühl, Hoffnung und die Wut nach Konzertabsagen

von Katrin Richter  06.07.2025

Aufgegabelt

Melonensalat mit gebackenem Halloumi

Rezepte und Leckeres

 06.07.2025

Kolumne

Kein Alkohol ist auch keine Lösung

Welcher Tropfen gegen die Zeitläufte hilft

von Maria Ossowski  06.07.2025

USA

Trauer um Filmmusiker Mark Snow

Der Komponist starb am Freitag im Alter von 78 Jahren

 05.07.2025

Andrea Kiewel

»Sollen die Israelis sich abschlachten lassen?«

Die »Fernsehgarten«-Moderatorin äußert sich im »Zeit«-Magazin erneut deutlich politisch zu ihrer Wahlheimat

 03.07.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  03.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  03.07.2025

Sehen!

»Hot Milk«

Die Mutter-Tochter-Geschichte unter der Regie von Rebecca Lenkie­wicz ist eine Adaption des Romans von Deborah Levy

von Anke Sterneborg  03.07.2025