Interview

»Geniale Verbindung von Politik und Literatur«

Die Autorin Eva Menasse über die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den israelischen Schriftsteller David Grossman

von Philipp Peyman Engel  12.10.2010 13:09 Uhr

Eva Menasse Foto: Reed Messe Wien / Andreas Kolarik

Die Autorin Eva Menasse über die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den israelischen Schriftsteller David Grossman

von Philipp Peyman Engel  12.10.2010 13:09 Uhr

Frau Menasse, selten gab es im deutschen Literaturbetrieb so viel Zustimmung für die Vergabe des Friedenspreises wie in diesem Jahr. Ganz anders die Reaktion großer Teile der israelischen Medien, die beanstandeten, Grossman werde nicht für sein Werk, sondern für seine Kritik an Israel ausgezeichnet. Wie stehen Sie zu der Verleihung?
David Grossman ist ein ganz besonders würdiger Preisträger - sowohl in literarischer als auch in politischer Hinsicht. Mehr als andere große Künstler und interessante Intellektuelle steht er mit seinem ganzen Leben im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern und versucht dennoch irgendwie, den Kopf friedlich oben zu halten. Und sein aktueller Roman »Eine Frau flieht vor einer Nachricht« ist unbestritten ein hochbedeutendes Werk.

Grossman erzählt darin die Geschichte von einem Soldaten und dessen Mutter, die von Zu Hause flieht, damit die schreckliche Botschaft vom Tod ihres Sohnes, falls sie denn kommt, sie nicht erreichen kann.

Ja, und diese an sich simple Handlung ist ein Beispiel dafür, auf welch geniale Art und Weise ein Autor die Verbindung von Literatur und Politik meistern kann. Es ist eminent wichtig, dass es Menschen wie David Grossman gibt, die die kriegerische Sprache aufbrechen, die verdeutlichen, was der Krieg mit einem macht. Ich bewundere dieses Werk sehr, nicht zuletzt auch deshalb, weil er die Kraft fand, diesen Roman zu vollenden. Das ist angesichts dessen, was ihm und seiner Familie 2006 zugestoßen ist …

… Grossmans Sohn Uri wurde in den letzten Stunden des zweiten Libanon-Krieges von einer Rakete der Hisbollah getötet …
… mehr als bemerkenswert. Das ist eine Leistung, die man nur bewundern kann. Denn Schreiben ist immer auch ein ungeheuer anstrengendes Stochern in der eigenen Seele und ihren Abgründen.

Zusammen mit dem Schriftsteller Amos Oz ist David Grossmann einer der prominentesten Vertreter der israelischen Linken, die in den letzten Jahren nach und nach an Bedeutung und Einfluss verloren hat. Wie beurteilen Sie die Möglichkeit, dass Grossmans Vision von einer Zwei-Staaten-Lösung in nicht allzu ferner Zukunft Wirklichkeit werden wird?
Es wird nicht anders gehen, als dass jede Seite von Positionen abrückt, die heute als absolut unverrückbar gelten. Natürlich müssen die Palästinenser einen eigenen Staat bekommen! Und natürlich muss Jerusalem aufgeteilt werden! Es wird aber wohl noch wahnsinnig lange dauern, bis diese Erkenntnis in den Köpfen aller angekommen ist. Ich selbst habe es damals für ein verrücktes Wunder gehalten, als Ariel Scharon den Gaza-Streifen hat räumen lassen. Überhaupt hätte das niemand bei diesem früheren Kriegstreiber für möglich gehalten. Und doch hat er es getan. Genauso muss man darauf hoffen, dass es plötzlich wieder so einen Ruck gibt und irgendetwas Unerwartetes geschieht. Früher oder später muss so etwas geschehen und das Ganze eine glücklichere Wendung nehmen.

Das Gespräch führte Philipp Engel.

München

Filmemacher Michael Verhoeven ist tot

Mit kritischen Filmen über den Vietnamkrieg oder den Nationalsozialismus setzte der Filmemacher Akzente

 26.04.2024

Glosse

Ständig wird gestört

In Berlin stürmten erneut propalästinensische Kräfte in Anwesenheit der Kulturstaatsministerin die Bühne

von Michael Thaidigsmann  26.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  26.04.2024

Karl Kraus

»Als ob man zum ersten und zum letzten Mal schriebe«

Zum 150. Geburtstag des großen Literaten und Satirikers

von Vladimir Vertlib  26.04.2024

Bonn

Beethoven-Haus zeigt Ausstellung zu Leonard Bernstein

Die lebenslange Beschäftigung des Ausnahmetalents mit Beethoven wird dokumentiert

 25.04.2024

Potsdam

Chronist der neuen Weiblichkeit

Das Museum Barberini zeigt Modiglianis Menschenbilder in neuem Licht

von Sigrid Hoff  25.04.2024

München

Ausstellung zeigt Münchner Juden im Porträt

Bilder von Franz von Lenbach und anderen sind zu sehen

 25.04.2024

Wien

Spätwerk von Gustav Klimt für 30 Millionen Euro versteigert

Der Künstler malte das »Bildnis Fräulein Lieser« kurz vor seinem Tod

 25.04.2024

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024