Kreativität

Gelobtes Lego-Land

Der offizielle Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Denn die 4,5 Meter hohe und 4,7 Meter breite Menora, die zu Chanukka im vergangenen Jahr im Dizengoff Center in Tel Aviv aus rund 136.000 Lego-Steinen errichtet wurde, dürfte zweifelsohne die weltweit größte ihrer Art sein.

Den Bau in Auftrag gegeben hatten die Betreiber des ersten Lego-Stores in Israel bei einem ausgewiesenen Experten, und zwar Yitzy Kasowitz. Der 45-Jährige aus North Miami Beach in Florida ist nicht nur ein renommierter Künstler, sondern zugleich Gründer von Jbrick, einem Online-Shop, der eigens konzipierte Judaika-Lego-Sets herstellt und weltweit vertreibt.

Kasowitz’ Liebe zu Lego entbrannte bereits, als er gerade einmal vier Jahre alt war. »Damals lebte ich mit meiner Familie in Des Moines, Iowa, einem Ort ohne größere jüdische Infrastruktur, geschweige denn Jiddischkeit«, erzählt er. »Mein Vater war von Chabad dorthin als Schaliach entsandt worden.«

geschenk Als sein jüngerer Bruder – insgesamt hat er noch sieben Geschwister – wie bei Ultraorthodoxen üblich im Alter von drei Jahren seinen ersten Haarschnitt bekam, gab es aus diesem Anlass Spielzeug von Lego als Geschenk. »Und damit ich und meine ältere Schwester nicht eifersüchtig wurden, bekamen wir ebenfalls Lego. Mein Geschenk war ein roter Feuerwehrwagen.«

Yitzy Kasowitz investierte viel Herzblut in den Nachbau des Tempels in Jerusalem.

Schon damals nahm Kasowitz nicht die Bauanleitung in die Hand, sondern orientierte sich an dem, was auf der Verpackung zu sehen war. Das sollte für ihn zum Prinzip werden. »Ich baute immer genau das nach, was ich sah.« Weil sein Vater in Des Moines zum Beispiel mit einer Sukka samt Lautsprecher auf einem gemieteten Pick-up unterwegs war, bastelte Kasowitz bald schon ebenfalls einen solchen aus Lego.

Aus seiner Leidenschaft für die bunten Plastiksteine wurde irgendwann ein Geschäftsmodell. Die Idee für Jbrick war geboren. Das erste Produkt, das er über seinen Online-Shop vor neun Jahren anbot, war eine Menora aus 96 Lego-Steinen. Mittlerweile gibt es ganze Paletten Lego-Judaika, darunter Zedaka-Sammelboxen, einen Mini-Seder-Tisch oder Lego-Figuren in der Uniform der israelischen Streitkräfte.

LEIDENSCHAFT Viel Herzblut investierte Kasowitz in einen besonderen Bausatz, und zwar den Nachbau des Tempels in Jerusalem. »Lego funktioniert modular. Sobald es also archäologische Neuentdeckungen gibt, kann ich das Set ändern und damit dem Original weiter so nah wie möglich kommen.« Billig ist das alles nicht. So kostet der Lego-Tempel, der aus 1305 Steinen besteht, 613 Dollar. Den ganzen Tempelberg, samt Mikwe und unterirdischen Gängen, kann man für 850 Dollar erwerben. »Es geht mir darum, den Menschen das Judentum auf spielerische Weise näher zu bringen.«

Kasowitz ist nicht der Einzige. 2018 bereits hatten die Rabbiner Kalman Worch und Ruven Benshmuel auf der Chicago Brickworld ebenfalls einen Tempel aus Lego präsentiert. Dieser hatte aber ganz andere Dimensionen, bestand sogar aus rund 12.000 Steinen. Und im Sommer 2020 gab es die erste Jewish Lego Masters Competition, organisiert von Rabbi JJ Duchman in Los Angeles.

Teams aus den Vereinigten Staaten, Kanada, Australien sowie Großbritannien gingen dabei an den Start und präsentierten ihre Arbeiten. »Wegen Corona war vieles nicht mehr möglich«, erläutert Diddy Barzivand aus Kalifornien, einer der Teilnehmer, in einem Video seine Motivation zur Teilnahme. »Also bauten mein Bruder und ich all das nach, wohin wir gerne gegangen wären.«

open-air-minjan So entstanden aus Lego-Steinen ein Strand mit Wellen und Surfern sowie ein Open-Air-Minjan mitsamt Lego-Rabbiner und Torarolle. Andere stellten mit den bunten Plastiksteinen Hochzeiten oder biblische Szenen nach. Alles wurde via Zoom präsentiert, dann entschied eine Jury über den besten Beitrag – für die Kinder offensichtlich ein großer Spaß in Zeiten von Lockdown und Quarantäne.

Auf der Website biblebeltbalabusta.com, einer jüdischen Plattform mit Bastel-Tipps für Eltern oder Erzieher, gibt es unter der Rubrik »Jewish Lego« zudem Anregungen, was jeder zu Hause selbst mit seinen Lego-Steinen anstellen kann. So lässt sich mithilfe der bunten Plastikbauklötze das Alef Bet lernen und üben, indem man die hebräischen Buchstaben auf eine Lego-Platte steckt und immer wieder neu zusammensetzt. Ein Lego-Mini-Tisch mit allem, was für einen Sederabend benötigt wird, ist dort ebenfalls zu finden.

Und weil bald Purim ist, erfährt man, dass auch die Ratschen zum Lärmmachen während der Megilla-Lesung aus Lego-Steinen gebaut werden können, Bauanleitung inklusive. Wer noch mehr Anregungen braucht, findet im Internet die Purim-Geschichte als Video, erzählt mit Lego-Figuren in einem bunten Plastikstein-Universum.

Provokation Man kann mit Lego selbstverständlich auch provozieren – und Gefühle verletzen. So wie der polnische Künstler Zbigniew Libera, der in den 1990ern den Lego-Bausatz »Konzentrationslager« gestaltet hat und mit dem Logo des dänischen Spielzeugherstellers versah. Sein Werk schaffte es 2002 sogar in das Jüdische Museum in New York, sorgte aber für heftige Diskussionen – auch bei Überlebenden, die das Ganze äußerst kritisch sahen. Lego selbst nahm ebenfalls großen Anstoß daran.

Für Kasowitz ist das alles eine Frage des richtigen Kontexts. »Wenn es hilft, Wissen über die Geschichte zu verbreiten und Menschen mit den Schrecken der Schoa zu konfrontieren, dann sehe ich kein Problem darin, ein Konzentrationslager aus Lego zu bauen und auszustellen.« Im Vordergrund sollten aber, wie auch bei seinen Lego-Judaika, immer der Lerneffekt und die Förderung der Kreativität stehen.

Darf man an Schabbat Lego spielen? Es kommt darauf an, welchen Rabbiner man fragt.

»Lego selbst verfolgt die Politik, keine Sets mit einem militärischen oder religiösen Bezug herzustellen«, weiß er zu berichten. »Dabei verhält sich das Unternehmen nicht immer ganz eindeutig.« So fand sich einmal ein Taj-Mahal-Bausatz im Angebot, obwohl in dem Gebäude auch Koran-Inschriften zu finden sind. Auch Lego-Weihnachtsmänner gibt es zu kaufen. Nur heißt es dann, dass diese in einem Kontext mit Feiertagen stehen und nicht mit Religion. »Und das Lego-James-Bond-Auto zum Zusammenbasteln ist eigentlich auch eine Waffe.«

händler Er selbst kauft alle möglichen Baukästen, die die benötigten Steine für seine Kreationen enthalten, bei anderen Händlern ein, weil Lego keinen Großhandel mit seinen Klötzchen betreibt. Das macht die Sache recht mühsam. Unter dem Label Jbricks werden diese dann weitervertrieben, jedoch ohne Lego-Logo.

Nur eine Frage bleibt noch: Darf man an Schabbat mit Lego spielen? Einige Rabbiner sagen, das Zusammenstecken von Plastiksteinen falle unter die verbotene Tätigkeit der Kategorie »Boneh«, also »Bauen«. Weil dabei jedoch ohne Schrauben, Nägel oder Klebstoff vorgegangen wird und die so entstandene Struktur keine permanente ist, sondern schnell wieder zerlegt wird, so wiederum die Argumentation anderer Rabbiner, sei das Ganze kein Problem. Hauptsache, es macht Spaß.

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