»Angezettelt« Ausstellung

Geklebte Hetze

Bei Antisemiten waren judenfeindliche Aufkleber während der NS-Zeit populär. Doch jüdische Organisationen wehrten sich bald gegen die Hetze. Foto: DHM

Im Jahr 1882 stellte Leon Pinsker in seinem Essay Autoemancipation! lakonisch fest: »Die Judophobie ist eine Psychose. Als Psychose ist sie hereditär und als eine seit zweitausend Jahren vererbte Krankheit ist sie unheilbar.« Zumindest in puncto »Psychose« ist man geneigt, dem Mediziner Pinsker recht zu geben, wenn man die antisemitischen Sticker aus den vergangenen rund 150 Jahren betrachtet, die ab dem 20. April im Berliner Deutschen Historischen Museum in der Ausstellung »Angezettelt« zu sehen sind.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts fanden die einfach und billig herzustellenden Sticker im deutschen Alltagsleben nachhaltig Verbreitung. Gerade die vor 1918 produzierten Aufkleber belegen dabei eindrücklich, dass die Psychose des Judenhasses keinesfalls den Nährboden von Inflation und Arbeitslosigkeit braucht, um eifrig gepflegt und ausgelebt zu werden.

»judenfrei« So bewarb der Frankfurter Geschäftsmann Hermann Laass seinen »Kölner Hof« ab Mitte der 1890er-Jahre als »einzig judenfreies« Hotel. Er versah nicht nur Geschirr und Tischdekorationen mit antisemitischen Parolen, er ließ auch mit Fahrkartenimitationen (»An Juden nicht übertragbar«) für sein Hotel werben. Und da Laass natürlich davon überzeugt war, Juden sofort auf den ersten Blick als solche zu erkennen, ließ er all jene Gäste die er ob ihres Aussehens für Juden hielt, des Hotels verweisen.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, wies bei seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung am Dienstagabend darauf hin, wie bedeutsam es ist, diese historischen Tatsachen auch heute noch zu vermitteln. »Das ist wichtig, weil politische Propaganda noch immer nach den gleichen Mechanismen funktioniert. Und es ist wichtig, damit sich heute alle mündigen Bürger dafür verantwortlich fühlen, was in ihrem Staat passiert«, betonte Schuster. Andernfalls gewännen undemokratische Strömungen ungehindert an Einfluss.

Schon 1893 tauchten imitierte Bahnfahrkarten mit dem Aufdruck »Nach Jerusalem – hin, aber nicht zurück!« auf. Auch das antisemitischer Logik folgende Gegenteil hierzu findet sich in der Schau: Aufkleber aus der Gegenwart mit Parolen wie »Schluss mit dem Zionismus« und »Israel war gestern – Lang lebe Palästina«. Manchmal ist dabei nicht sofort ersichtlich, ob auf den Stickern von Links oder Rechts, von Deutschen oder Arabern zur Vernichtung Israels aufgerufen wird.

Intimleben Die Pflege des Judenhasses bis hinein in das Intimleben belegt eine Sammlung von rund 100 schwülstigen Liebesbriefen, die sich Hans und Trude Schober in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg schrieben. Offenbar können Paare nicht nur durch Liebe, sondern auch durch den gemeinsamen Hass auf andere Menschen romantisch verbunden sein.

Jeder der Liebesbriefe ist mit einer Verschlussmarke versehen, die ein antisemitischer Spruch ziert, was Trude Schober zu dem Ausruf inspirierte: »Du, Hans, das Verschen ist aber auch wirklich ganz herrlich, wenn das ein Jud liest, der muss sich doch da ganz treffend gekennzeichnet sehen.« So wird Judenhass zum festen Bestandteil des Liebesidylls, dann der Kindererziehung und, weitergegeben an die dritte Generation, schließlich zum Familienerbe.

Die massenhaft verbreiteten Sticker provozierten, so zeigt die Ausstellung ebenfalls, eine eindeutige Gegenreaktion. So wurden Aufkleber mit Sprüchen wie »Der Antisemitismus ist der Sozialismus der Dummköpfe« oder »Lieber einen König von Gottes Gnaden als einen Idioten aus Berchtesgaden« verbreitet. Während der NS-Zeit wurde das Anbringen antifaschistischer Sticker vor allem von Kommunisten, Sozialdemokraten und anderen politischen Gruppen gewagt. Mit den Aufklebern versahen die Widerstandskämpfer auch Propagandaplakate der Nazis.

Besatzung In der Ausstellung werden ebenfalls rassistische Sammelbilder und Aufkleber aus der Kolonialzeit gezeigt sowie Aufkleber, mit denen Deutsche Anfang der 20er-Jahre gegen die »Negerbestialität« schwarzer Besatzungssoldaten hetzten: »Von schwarzen Tieren vergewaltigt« ist zum Beispiel auf einem zu lesen.

Eine ganz ähnliche Stimmung wird heute von Stickern verbreitet, die vor einem »Völkermord« durch »Rassenmischung« warnen. Eindeutig als Drohung ist ein 2014 in Berlin gefundener Aufkleber gemeint, der an einem Klingelschild neben ausländisch klingenden Namen angebracht wurde: »Jetzt Grenzen setzen – Einwanderung stoppen«, darunter das Foto eines Konzentrationslagers. Auch daran hätte das Liebespaar Schober, Psychose hin oder her, sicher seine helle Freude gehabt.

»Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute«. Deutsches Historisches Museum, bis 31. Juli

Israel

Pe’er Tasi führt die Song-Jahrescharts an

Zum Jahresende wurde die Liste der meistgespielten Songs 2025 veröffentlicht. Eyal Golan ist wieder der meistgespielte Interpret

 23.12.2025

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025