Maya Mason (Kathryn Hahn) trägt einen Burberry-Sport-BH, eine übergroße Hornbrille, hält einen Whiskey in der einen Hand, einen grünen Smoothie in der anderen und schreit: »No Jews!« In der siebten Folge der neuen Hollywood-Comedyserie The Studio von und mit Seth Rogen in der Hauptrolle wird die Notwendigkeit ethnischer Repräsentation in einem Film diskutiert.
Als das Filmstudioteam recherchiert, wie viele Asiaten in den USA lebten, schlägt der Studioboss (Seth Rogen) vor, die Rolle mit einem Juden zu besetzen, denn Israel sei »technisch ein Teil Asiens«, und es sei schließlich nicht seine Schuld, dass Juden gleichzeitig eine Rassen- und eine Religionsgemeinschaft seien. Alle stöhnen auf. Die Marketingchefin und Ex-Flamme Rogens (Kathryn Hahn) brüllt, sie bräuchten einen »Halbasiaten« und keinen Juden. Diese Szene scheint emblematisch für die derzeitige Situation in Hollywood: Die Juden schreiben die Witze, aber man soll nicht wissen, dass sie es waren.
Antisemitismus gab es in der amerikanischen Filmbranche immer – man denke nur an Mel Gibsons betrunkene judenfeindliche Tirade bei seiner Festnahme in Malibu im Jahr 2006 –, aber er nimmt seit dem 7. Oktober 2023 bis dato unbekannte Ausmaße an. Stars sprechen nun in Interviews und auf sozialen Kanälen von »ethnischer Säuberung« (Susan Sarandon), von »Apartheid« (Mark Ruffalo) und »Genozid« (Emma Watson) seitens des Staates Israel.
Offener Brief gegen Zusammenarbeit mit israelischen Filminstitutionen
Diese Stimmungen kulminierten Anfang September in einem offenen Brief, für den mittlerweile über 5000 Unterschriften gesammelt wurden. »Film Workers Pledge to End Complicity« heißt die Initiative, die auch für die Aktion »Strike Berlinale«, den Boykottaufruf gegen die Internationalen Filmfestspiele Berlin im vergangenen und in diesem Jahr, verantwortlich ist. Die Berlinale selbst wurde in beiden Jahren von antisemitischen Vorfällen überschattet.
Die Juden schreiben die Witze, aber man soll nicht wissen, dass sie es waren.
Der offene Brief proklamiert nichts weniger als das Versprechen seiner Unterzeichner, »keine (israelischen) Filme zu zeigen, nicht mit israelischen Filminstitutionen zusammenzuarbeiten – darunter Festivals, Kinos, Rundfunkanstalten und Produktionsfirmen –, die in Genozid und Apartheid gegen das palästinensische Volk verwickelt« seien. Prominente Unterzeichner der Liste sind Filmstars wie Javier Bardem, Tilda Swinton und Joaquin Phoenix. Mit an Bord sind auch Juden wie Regisseur Jonathan Glazer und die Schauspielerinnen Hannah Einbinder und Ilana Glazer. Während die Initiative amerikanisch ist, haben auch internationale Stars, unter anderem mit arabischen Wurzeln sowie aus Großbritannien und Frankreich, unterschrieben.
Der Brief ist aus vielen Gründen problematisch. Die Genozid- und Apartheid-Vorwürfe sind nicht belegt, die zitierte »International Association of Genocide Scholars« entpuppte sich laut Kritiken als Vereinigung, der man mühelos beitreten und in der man gleich votieren kann. Auch die Befunde von »Amnesty International« bleiben umstritten, nicht zuletzt, weil sie den Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 auf Israel ausklammern.
Die »Film Workers Pledge« ignoriert den Terrorismus und die Kriegsverbrechen der Hamas, das Schicksal der Geiseln und den extremen Antisemitismus der Nachbarländer Israels. Der Text behauptet außerdem, vom Boykott Südafrikas inspiriert zu sein. 1987 hatten Woody Allen, Jonathan Demme, Spike Lee, Martin Scorsese und andere US-Regisseure einen offenen Brief an US-Präsident Ronald Reagan unterzeichnet, in dem sie versprachen, ihre Filme nicht in Südafrika zu zeigen, solange das Apartheid-Regime besteht. Ein unangemessener Vergleich: In Südafrika ging es um weiße Kolonialerben gegen die schwarze Urbevölkerung, in Israel und Gaza ist die Sache weitaus komplizierter. Keine anderen Länder, die politisch umstritten sind, werden von der Filmgemeinschaft so ausgegrenzt wie Israel.
Schauspieler Juri Borissow erhielt vergangenes Jahr einen Oscar für seine Rolle in Anora und einen Vertrag mit der renommierten United Talent Agency – dabei stammt er aus Russland, das einen eindeutigen Angriffskrieg führt. Borissow hat sich nie von der russischen Regierung distanziert und in staatlich finanzierten Filmen mit Propagandacharakter gespielt; auf russischen Websites geht gar das Gerücht um, er würde bald in einem Biopic Wladimir Putin spielen,
Antwort auf den Boykottbrief und Aufruf zu künstlerischer Kollaboration
Ende September hat die vorrangig jüdische »Creative Community for Peace« ihre Antwort auf den Boykottbrief publiziert – mit über 1200 Unterzeichnern, darunter Liev Schreiber, Debra Messing und Mayim Bialik. Sie sprechen von Zensur, Diskriminierung und antisemitischer Propaganda. »Die israelische Filmgemeinde ist unruhig, streitlustig und unabhängig, Regisseure fordern Minister heraus, und viele der Festivals, die Sie ins Visier nehmen, zeigen regelmäßig kontroverse Werke«, heißt es. Es wird zu Frieden und künstlerischer Kollaboration statt »Lügen« aufgerufen.
Die kürzlich verhandelte Waffenruhe in Gaza hat bisher nichts an den Boykottbemühungen geändert. Der Großteil der »propalästinensischen« Stars äußerte sich nicht zu dem Beschluss. Javier Bardem gab dem CNN nach dem Waffenstillstand ein Interview, in dem er Rassismusvorwürfe an die »Film Workers for Palestine«-Vereinigung zurückwies und den Genozid-Vorwurf an Israel bekräftigte.
Paramount und Warner Bros gaben Stellungnahmen ab, in denen sie den Israelboykott als diskriminierend verurteilten.
Gleichzeitig meldeten sich zwei prominente Hollywood-Studios zu Wort: Paramount und Warner Bros gaben Stellungnahmen ab, in denen sie den Israelboykott als diskriminierend verurteilten. Diese Spaltung Hollywoods ist einzigartig. Es ist durchaus vorstellbar, dass es fortan vermehrt projüdische versus anti-israelische Filmprojekte geben wird, dass sich Filmstudios, Regisseure und Schauspieler in zwei Lager trennen und dass diese Entwicklung westliche Filmindustrien insgesamt verändern wird.
Der Gegenboykott der »Creative Community for Peace« und die Studio-Stellungnahmen beweisen, dass es viele jüdische Filmschaffende und Unterstützer gibt, die bereit sind, sich gegen Antisemitismus zu wehren und die künstlerische Freiheit hochzuhalten – auch wenn sich die großen Namen Hollywoods enthalten haben.
Die Serie The Studio endet übrigens mit einer Versöhnung, die über Religion und Konflikt hinausgeht: Der Studioboss und seine Mitarbeiter kommen zusammen und überwinden Meinungsverschiedenheiten, weil sie das Kino lieben und gute Filme machen wollen. Man wünscht sich etwas mehr davon für das echte Hollywood.