»Unterwerfung«

Ganz Paris träumt von der Scharia

Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq legt endlich seinen neuen Roman vor. Foto: imago

»Unterwerfung«

Ganz Paris träumt von der Scharia

Michel Houellebecq malt sich in seinem neuen Roman ein islamisiertes Frankreich aus

von Wolf Scheller  19.01.2015 17:54 Uhr

Unterwerfung, der neue Roman des französischen Starautors Michel Houellebecq, der die Horrorvision eines islamischen Frankreichs an die Wand malt, ist auf Deutsch vorigen Freitag erschienen, eine Woche nur nach dem islamistischen Attentat auf die Redaktion von »Charlie Hebdo«. Diese Koinzidenz wird sicherlich den Erfolg des Buches nicht schmälern – auch wenn dies weder der Autor noch sein Roman nötig haben.

Also geht es vor allem und in erster Hinsicht um das literarische Format eines Werks, dessen Protagonist, der Hochschullehrer François, dem Leser das Entrée mit der Bemerkung eröffnet: »Allein die Literatur vermittelt uns das Gefühl von Verbundenheit mit einem anderen menschlichen Geist auf direkte, umfassendere und tiefere Weise, als das selbst in einem Gespräch mit einem Freund möglich wäre.«

dekadenz François, eine Art Alter Ego des Autors, ist Spezialist für den französischen Schriftsteller Joris Karl Huysmans, der 1884 mit seinem Roman Gegen den Strich eine Art Bibel der Décadence schrieb. François führt ein tristes Dasein als Melancholiker in einer Hochhauswohnung im 13. Pariser Arrondissement, interessiert sich, sexuell frustriert, vornehmlich für die Kürze der Röcke seiner Studentinnen aus dem zweiten Semester und gibt sich ansonsten der Langeweile und dem Überdrussgefühl seiner Einsamkeit hin.

Wie sein großes Vorbild Huysmans will auch François aus der Moderne fliehen, lehnt aber den Suizid als »verfrühte Lösung« ab und geht stattdessen zur Meditation ins Kloster. Im Zeichen des Kreuzes wird er jedoch auch nicht glücklich und kehrt nach Paris zurück, einen Übertritt zum Islam nicht ausschließend: Unterwerfung – Hingabe an Gott? Soumission – »Unterwerfung« – hieß, wie Houellebecqs Roman, auch der letzte Film des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh, der auf den nackten Rücken einer geschlagenen Frau Verse aus dem Koran projizierte und deshalb von einem muslimischen Migranten aus Marokko ermordet wurde.

Doch nicht nur François liebäugelt mit der Unterwerfung. Im Jahr 2022, in dem das Buch spielt, erzielt der rechtsextreme Front National mit Marine Le Pen bei der Präsidentenwahl 31 Prozent der Stimmen. In der Stichwahl freilich wird sie von Mohammed Ben Abbes geschlagen. Abbes ist Vorsitzender der 2017 gegründeten Partei »Fraternité musulmane«. Sozialisten und Konservative haben aus Angst vor Le Pen den Muslimbruder unterstützt.

kollaboration Ganz Frankreich wird jetzt islamisiert. Mit dieser Pointe skandalisiert Houellebecq den Zustand einer tief gespaltenen Gesellschaft, in der einerseits irrationale Ängste und Phantasmen der Einwanderung beklagt werden, andererseits aber die Realität im Lande von der politischen Elite und den Medien vielfach beschönigt wird.

Houellebecq beschreibt, wie sich die Linke des Jahres 2022 mit großem Eifer den neuen Verhältnissen unter dem islamischen Regime unterwirft, so wie sie nach 1945 aus ideologischer Verblendung Stalin, Mao, Castro und Pol Pot angehimmelt hat. Der neue islamische Präsident beseitigt die Arbeitslosigkeit, wandelt die von den Saudis kontrollierte Sorbonne zur islamischen Kaderschmiede um, und langsam gleitet das Land schmerz- und widerstandslos unter die Decke der Religion, was daran erinnert, wie hingebungsvoll sich viele Intellektuelle im Frankreich der deutschen Besatzung der Kollaboration mit den Nazis hingaben.

Houellebecq erweist sich mit diesem Gemisch aus Satire und Dystopie ähnlich wie seinerzeit George Orwell als scharfsinniger Beobachter seiner Epoche. Dass seine muselmanische Bruderschaft auch dafür sorgt, dass der an seiner Dekadenz leidende Professor François unter dem grünen Banner des Propheten nun ein dreifaches Gehalt bezieht und sich dank der islamischen Vielehe mit drei jungen Frauen liieren kann, nachdem seine jüdische Geliebte Myriam vor den neuen Verhältnissen nach Israel geflüchtet ist, gehört zu den vielen hübschen Überzeichnungen dieses Romans, der ein extremes Beispiel literarischer Exzentrik darstellt – ganz wie die Werke von Joris Karl Huysmans.

Michel Houellebecq: »Unterwerfung«. Übersetzt von Norma Cassau und Bernd Wilczek. DuMont, Köln 2015, 280 S., 22,99 €

Israel

Pe’er Tasi führt die Song-Jahrescharts an

Zum Jahresende wurde die Liste der meistgespielten Songs 2025 veröffentlicht. Eyal Golan ist wieder der meistgespielte Interpret

 23.12.2025

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025