»Der Trafikant«

Freud im Tabakladen

Bruno Ganz als Sigmund Freud während der Dreharbeiten zu »Der Trafikant« Foto: dpa

»Der Trafikant«

Freud im Tabakladen

In der Verfilmung von Robert Seethalers Bestseller schlüpft Bruno Ganz in die Rolle des Analytikers

von Manfred Riepe  31.10.2018 16:00 Uhr

Freud wurde im Kino schon häufig dargestellt. Montgomery Clift verkörperte ihn 1962 als stürmischen Entdecker des Unbewussten und Viggo Mortensen 2011 als reifen Analytiker in David Cronenbergs Spätwerk Eine dunkle Begierde. Bruno Ganz fügt den Freud-Porträts nun eine ganz neue Facette hinzu.

In Der Trafikant begegnen der greise Psychoanalytiker und ein liebeskranker Jüngling einander auf Augenhöhe – eine traurige Bekanntschaft mit bewegendem Abschied. Der verfolgte Jude ist nämlich auf dem Sprung ins Londoner Exil. Die Nazis lassen sich nicht weganalysieren. Nicht einmal von Freud.

Heimatdorf Doch der Reihe nach: Auf Geheiß der Mutter verlässt der 17-jährige Franz (Simon Morzé) sein provinzielles Heimatdorf und begibt sich nach Wien, wo er bei Otto Trsnjek (Johannes Krisch) in die Lehre geht. Der Ex-Liebhaber der Mutter betreibt eine Trafik, ein in Österreich gebräuchlicher Begriff für einen Kiosk mit Tabak, Zeitungen und Schreibwaren. Unter dem Ladentisch gibt es auch Erotika.

Der beschauliche Laden, in dem Informationen neben erlaubten und verbotenen Formen von Genüssen gehandelt werden, ist die Vorform eines Internet-Knotenpunktes. Deshalb gerät der aufrechte Kommunist Trsnjek, dem im Ersten Weltkrieg ein Bein weggeschossen wurde, in den Fokus der Nazis, die nach der Annektierung Österreichs ab 1938 Andersdenkende verfolgen.

Diese Schikanen nimmt Franz zunächst nur am Rande wahr. Mehr als die Braunhemden beschäftigt ihn die quirlige Böhmin Anezka (Emma Drogunova). Es kommt zu einer zärtlichen Annäherung. Trotzdem bleibt die junge Frau aus ärmlichen Verhältnissen, die als Stripperin in einem politischen Kabarett arbeitet, ein großes Rätsel.

Stammkunde Franz hat Liebeskummer – doch glücklicherweise gibt es einen Sachverständigen für solche Probleme. Der weltberühmte jüdische Professor Freud ist Stammkunde im Tabakladen. Er raucht nämlich so viele Zigarren, dass er, woran eine beiläufige Szene erinnert, eine hölzerne Oberkieferprothese trägt – eine Folge seiner Krebserkrankung.

Das politische Leitmotiv rückt Nikolaus Leytner in seiner Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Robert Seethaler erst allmählich ins Blickfeld. Die akribische Ausstattung und der visuelle Stil spielen dabei eine Schlüsselrolle. Neblige Bergpanoramen im Salzkammergut wirken surreal überhöht. Wälzt Franz sich nach einer Liebesnacht mit Anezka im zuckergussartigen Schnee, dann erscheint das nachgestellte Wien der 30er-Jahre künstlich wie in einem amerikanischen Musical.

Diese artifizielle Hyperrealität stellt die Perspektive des jungen Franz dar, der in Tagträumen lebt und dessen Liebeswirrnisse in düsteren Traumszenen aufblitzen. Doch selbst der »andere Schauplatz«, Freuds Bezeichnung für das Unbewusste, wird bald überschattet von dem sukzessiven Einbruch des braunen Terrors, gegen den Franz sich passiv zur Wehr setzt.

So hisst er am Ende die einbeinige Hose des verschleppten und ermordeten Otto Trsnjek vor dem Nazi-Hauptquartier als Flagge. Ein kraftvolles Bild, das sich motivisch subtil durch den gesamten Film zieht – und aus Freuds Traumdeutung stammen könnte.

Der Trailer zum Film:
www.youtube.com/watch?v=kKv1pgz5q2Y

Musik

Louis-Lewandowski-Festival hat begonnen

Der Komponist Louis Lewandowski hat im 19. Jahrhundert die jüdische Synagogenmusik reformiert. Daran erinnert bis Sonntag auch dieses Jahr ein kleines Festival

 18.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  18.12.2025

Ausstellung

Pigmente und Weltbilder

Mit »Schwarze Juden, Weiße Juden« stellt das Jüdische Museum Wien rassistische und antirassistische Stereotype gleichermaßen infrage

von Tobias Kühn  18.12.2025

Kulturkolumne

Vom Nova-Festival zum Bondi Beach

Warum ich keine Gewaltszenen auf Instagram teile, sondern Posts von israelischen Künstlern oder Illustratorinnen

von Laura Cazés  18.12.2025

Neuerscheinung

Mit Emre und Marie Chanukka feiern

Ein Pixi-Buch erzählt von einem jüdischen Jungen, der durch religiöse Feiertage Verständnis und Offenheit lernt

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Zahl der Woche

1437

Funfacts & Wissenswertes

 18.12.2025

Revision

Melanie Müller wehrt sich gegen Urteil zu Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was bisher bekannt ist

 18.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  18.12.2025

Los Angeles

Rob und Michele Reiner: Todesursache steht fest

Ihre multiplen Verletzungen seien durch Gewalteinwirkung entstanden, so die Gerichtsmedizin

 18.12.2025