Sprachgeschichte(n)

Fetzen, Trinkgeld, dummes Zeug

Wie das ostjiddische Wort »Schmatte« seine Bedeutungsvielfalt erlangte

von Christoph Gutknecht  08.01.2018 15:52 Uhr

Schmatte: »abgetragene Klamotten« Foto: Thinkstock

Wie das ostjiddische Wort »Schmatte« seine Bedeutungsvielfalt erlangte

von Christoph Gutknecht  08.01.2018 15:52 Uhr

Ob im deutsch- und englischsprachigen Raum oder in Israel – das ostjiddische Lehnwort schmáte (f.), hergeleitet vom polnischen szmata (für »Lumpen, Stoff-Fetzen«, auch »Inflationsgeld«), ist von ungewöhnlicher semantischer Vielfalt.

Helmut Qualtingers Kabarett-Aufnahmen (2006) enthielten die von Gerhard Bronner und Peter Wehle witzig betextete »Schmattesoper«; jüngst begeisterte Stella Jürgensens Musiktheaterrevue »Schmattes, Schlager & Schongsongs« mit jiddischen Balladen und Schlagern jüdischer Komponisten der 20er- und 30er-Jahre; 2009 betitelte der »Münchner Merkur« seinen Beitrag zu Trinkgeldbräuchen im Ausland mit: »Schmattes, Bakschisch oder Tip«. Auch R. Sedlaczeks Wörterbuch der Alltagssprache Österreichs (2012) führt für dankbare Zahlungen an den Kellner den Wiener Schmattes auf.

Philip Roth Für Rostens Jiddisch-Enzyklopädie (2002) steht das Lexem generell für »wertloses Zeug«, etwa für das Revolverblatt oder die Schundliteratur, wenn es auf Publikationen von mieser Qualität abzielt. So beschrieb das Ktav Publishing House in Brooklyn 1969 Philip Roths Roman Portnoy’s Complaint – unter anderem wegen der klischeehaften Darstellung amerikanischer Juden – als »shmatte«.

Auch das Yinglish, das mit Jiddisch-Elementen angereicherte britische English, kennt shmatte für »Putzlappen/Lumpen«, pejorativ als »Fummel« für Frauenkleider: »That fancy dress she spent half her husband’s money on just looked like a shmatte to me.« Den jüdischen Textilhandel ironisiert es als »shmatte trade«, die Verkäufer als »shmatte mishpocha«, Bezirke mit Kleidergeschäften als »shmatte districts«.

J. und V. Traig ergötzten jüdische Leser der USA mit dem Werk Judaikitsch: Tchotchkes, Schmattes, and Nosherei (2002). Das Jiddische der USA, das Ameriddish, verzeichnet shmatte für »Plunder«, »Stofffetzen« oder »abgetragene Klamotten« – so bei J. Eisenberg und E. Scolnic im Dictionary of Jewish Words (2006): »We’re going out to dinner, so change out of that shmatte.« Übertragen benennt das Wort einen schwachen Menschen oder die Person, mit der jemand eine Affäre hat: »You’re nothing; you’re just his schmatah!«

schmattinée Das Verb sich schmatten/schmadden hörte man bei Zwangstaufen von Juden, wozu W. Weinberg in Die Reste des Jüdischdeutschen (1973) bemerkt: »Ein Empfang zu Ehren eines neugetauften erwachsenen Juden wurde scherzhaft schmattinée benannt.« A. Tendlaus Jüdische Sprichwörter und Redensarten (1988) halten für jedweden Glaubensabfall Sprüche bereit wie »Dem guckt die Schmad zum Ponim heraus« (»Auf seinem Gesichte liegt die Abtrünnigkeit vom Judentum«) oder – bei einem Rabbinatskandidaten, »der sich Neuerungen erlaubt oder sich zu denselben hinneigt« – »Wo der Rav wird,
schmad’t sich die Kille!« (»Wo der Rabbiner wird, tauft sich die Gemeinde!«).

Erwähnt wird auch der Sinn, den schmadden »im Munde des Volkes mit der Zeit annahm: jemanden durch Geschenke auf seine Seite bringen, verführen, bestechen – »Wodurch hastu’n geschmad’t?«

Schmatte kennt man sogar als Lehnwort im gesprochenen Hebräisch. Hillel Halkin wies (als »Philologos«) im Juli 2017 in der Zeitschrift »Mosaic« auf die in Israel geläufigen Kombinationen von shmatte mit dem französischen de la (= dt. »von«) in Bildungen wie orekh-din de la shmatte (»unfähiger Anwalt«), krem de la shmatte (»pompös aufgemachte, nutzlose Gesichtscrème«) und don juan de la shmatte (»Westentaschen-Casanova«).

TV-Kritik

Sagenhaftes Unbehagen

Im ZDF diskutierten Gregor Gysi, Deborah Feldman und Manfred Lütz über Gott und die Welt - und über Israel

von Michael Thaidigsmann  29.09.2023

Zahl der Woche

800 Quadratmeter

Fun Facts und Wissenswertes

 29.09.2023

Verriss

Toxisch

Deborah Feldmans neues Buch »Judenfetisch« strotzt vor Israelhass – verwurzelt im Antizionismus der Satmarer Sekte, in der die Autorin aufwuchs

von Daniel Killy  28.09.2023 Aktualisiert

Film

Inszenatorisches Understatement

Barbara Albert hat sich an Julia Francks Bestseller »Die Mittagsfrau« gewagt. Sie schildert – teils sperrig – ein deutsch-jüdisches Schicksal

von Jonathan Guggenberger  28.09.2023

Mark Ivanir

»Den Nazis eine reinhauen«

Ein Interview mit dem Schauspieler über seine Rolle als jüdischer Gangster in der vierten Staffel von »Babylon Berlin«

von Ayala Goldmann  28.09.2023

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 28.09.2023

Tourende Legenden

Jeff Lorber: Chemiker an den Tasten

Der Pianist und Komponist bietet nun Jazz-Funk auf deutschen Bühnen

von Imanuel Marcus  27.09.2023

Berlin

Dieser Dirigent soll heute Daniel Barenboim nachfolgen

Die »Berliner Zeitung« nannte unter Berufung auf mehrere Quellen einen Namen

 27.09.2023 Aktualisiert

Aktion

»Hevenu Schalom Alechem« am Tag der Deutschen Einheit

Mit Liedern sollen Zeichen für Solidarität gesetzt werden

 26.09.2023