Geschichte

Feminist, Sozialist und Jude

Theodor Lessing (1872–1933) Foto: picture-alliance / dpa

Geschichte

Feminist, Sozialist und Jude

Die Ermordung des Philosophen Theodor Lessing durch die Nazis jährt sich am 31. August zum 90. Mal

von Peter Bollag  31.08.2023 09:53 Uhr

Marienbad in der heutigen Tschechischen Republik, Anfang September 1933. Auf dem jüdischen Friedhof wird in aller Stille ein Mann zu Grabe getragen, der sich diese Stadt nicht freiwillig als Aufenthalt ausgesucht hatte: In seinem Heimatland Deutschland war Theodor Lessing spätestens, seit Adolf Hitler an der Macht war, unerwünscht, ja, an Leib und Leben bedroht. Aber auch im Exil war der Philosoph, Autor und Akademiker nicht sicher, denn kein Geringerer als Hermann Göring hatte 80.000 Reichsmark demjenigen versprochen, der Lessing entführen und den deutschen Behörden übergeben würde.

Das klappte nicht – die drei gedungenen Mörder schossen in der Nacht auf den 31. August 1933 von außen auf ihr Opfer in dessen Wohnung. Und verletzten Lessing so schwer, dass er wenig später seinen Verletzungen erlag – bis heute gilt er als eines der ersten prominenten Opfer des Nationalsozialismus außerhalb der deutschen Grenzen. Wie aber hatte sich dieser Autor einen derartigen Hass der Braunhemden zugezogen, dass sie es nicht abwarten konnten, ihn für seine Schriften »zur Rechenschaft zu ziehen«, wie sie es nannten?

heimatstadt Um diese Frage zu beantworten, muss man ins Jahr 1925 zurückblenden. In der Heimatstadt Lessings, in Hannover, macht sich gerade ein prominenter Bewohner der Stadt, der ehemalige Feldmarschall Paul von Hindenburg, auf, sich vom Volk zum zweiten Reichspräsidenten der Weimarer Republik wählen zu lassen. Theodor Lessing, der neben seiner akademischen Tätigkeit als Privatdozent publizistisch auch in Zeitungen und Magazinen schreibt, warnt in einem Essay vor dieser Wahl: »Man kann sagen: besser ein Zero als ein Nero. Leider zeigt die Geschichte, dass hinter einem Zero immer ein künftiger Nero verborgen steht.«

Der Pazifist, Sozialist, Feminist und nicht zuletzt Jude Lessing, dessen Habilitation an der Universität Dresden nur aus diesen politischen Gründen gescheitert war, macht sich mit diesen prophetischen Sätzen zur Hassfigur der rechten Republikgegner. So kommt es zum Boykott: Fast die gesamte, schon weitgehend nationalsozialistisch unterwanderte Studentenschaft verlässt die Universität Hannover und begibt sich unter dem Jubel eines bereits fanatisierten Teils der Bevölkerung zum Bahnhof, um Vorlesungen im benachbarten Braunschweig zu hören und Lessing so zu »bestrafen«. Die Unterstützung der Universität, aber auch der politischen Behörden für den Angegriffenen ist mehr als halbherzig. Bis zu seinem Lebensende fristet Lessing als Privatgelehrter ein mehr als kümmerliches Dasein.

judentum Der Rassenantisemitismus berücksichtigt selbstverständlich nicht, dass der Philosoph selbst zeitlebens ein ambivalentes Verhältnis zum Judentum hatte. Er wächst in einem mehr als liberalen Elternhaus auf. In seinen Erinnerungen schreibt er: »Es gab in der Familie keine jüdischen Bräuche mehr.« Dennoch oder gerade deshalb tritt Lessing später als Erwachsener erstmals der jüdischen Gemeinde seiner Heimatstadt bei – um 1912 wegen »einer Krisis antireligiöser Entwicklung« wieder auszutreten. Möglicherweise wurde er in München nochmals Mitglied der dortigen jüdischen Gemeinde, doch dies ist nicht verbürgt.

Mit seinem Judentum setzt er sich auch in seinem bekannten Werk Der jüdische Selbsthass auseinander. Er schreibt dort, die jüdische Geschichte sei fast 3000 Jahre eine einzige lange »Leidensgeschichte« gewesen. Deren Höhepunkt, die Schoa, erlebte Lessing, der in seinen späteren Jahren immer mit einem »gewaltsamen Tod« rechnete, dann nicht mehr.

Ehrung

Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland für Tamar Halperin

Die in Deutschland lebende israelische Pianistin ist eine von 25 Personen, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 1. Oktober ehrt

von Imanuel Marcus  18.09.2025

Ausstellung

Liebermann-Villa zeigt Architektur-Fotografien jüdischer Landhäuser

Unter dem Titel »Vision und Illusion« werden ab Samstag Aufnahmen gezeigt, die im Rahmen des an der University of Oxford angesiedelten »Jewish Country Houses Project« entstanden sind

 18.09.2025

Debatte

Rafael Seligmann: Juden nicht wie »Exoten« behandeln

Mehr Normalität im Umgang miteinander - das wünscht sich Autor Rafael Seligmann für Juden und Nichtjuden in Deutschland. Mit Blick auf den Gaza-Krieg mahnt er, auch diplomatisch weiter nach einer Lösung zu suchen

 18.09.2025

Kino

Blick auf die Denkerin

50 Jahre nach Hannah Arendts Tod beleuchtet eine Doku das Leben der Philosophin

von Jens Balkenborg  18.09.2025

»Long Story Short«

Die Schwoopers

Lachen, weinen, glotzen: Die Serie von Raphael Bob-Waksberg ist ein unterhaltsamer Streaming-Marathon für alle, die nach den Feiertagen immer noch Lust auf jüdische Familie haben

von Katrin Richter  18.09.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 18. September bis zum 2. Oktober

 18.09.2025

Fußball

Mainz 05 und Ex-Spieler El Ghazi suchen gütliche Einigung

Das Arbeitsgericht Mainz hatte im vergangenen Juli die von Mainz 05 ausgesprochene Kündigung für unwirksam erklärt

 18.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 18.09.2025

Berlin

Mut im Angesicht des Grauens: »Gerechte unter den Völkern« im Porträt

Das Buch sei »eine Lektion, die uns lehrt, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten Menschen gab, die das Gute dem Bösen vorzogen«, heißt es im Vorwort

 17.09.2025