Herr Weimer, Ihre erste Amtshandlung als neuer Kulturstaatsminister war ein starkes Zeichen gegen Antisemitismus. Warum setzen Sie gerade dieses Signal?
Weil Antisemitismus in unerträglicher Weise in unsere Gesellschaft hineinkriecht und sich ausbreitet. Das geschieht auf offener Straße und in versteckten Narrativen, bei lauten Demonstrationen und in leisen Internet-Zirkeln, sogar in Universitäten greift neuer Antisemitismus um sich. Auch im Kulturbereich haben wir, insbesondere seit dem barbarischen Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, zunehmend Boykottaufrufe oder andere Aktionen gegen jüdische Künstlerinnen und Künstler erleben müssen, die inakzeptabel sind. Mich schmerzt das. Gerade Deutschland darf das nicht zulassen. Denn es gehört zum innersten Kern unserer moralischen Integrität, dass wir aufstehen, wenn sich Jüdinnen und Juden nicht mehr sicher fühlen in Deutschland.
Die Beziehung zwischen der jüdischen Gemeinschaft und Claudia Roth samt ihrem Kulturstaatsministerium galt in den letzten Jahren als zerrüttet. Wie wollen Sie das Vertrauen nun wieder aufbauen?
Über die Vergangenheit mag ich nicht urteilen. Ich habe mit Claudia Roth eine konstruktive und kollegiale Übergabe erlebt. In der Sache ist es aber wichtig, dass die etwas in Schieflage geratene Beziehung des BKM zur jüdischen Community wieder hergestellt wird und das konfliktreiche Kapitel ein Ende findet. Das geschieht im ersten Schritt mit einer klaren Positionierung. Es gilt für mich eine Null-Toleranz-Politik gegen Antisemitismus. Die neue Bundesregierung ist in diesem Punkt ganz klar. Und auch unser Bundespräsident und unsere Bundestagspräsidentin haben sich am Gedenktag zum 8. Mai bei dieser wichtigen Frage abermals entschieden positioniert. Frank-Walter Steinmeier hat gesagt: »Für Antisemitismus darf es in unserer Gesellschaft keinen Raum geben. Das zu gewährleisten, ist unsere gemeinsame Pflicht!« Genauso ist es.
Ihr erstes Treffen als neuer Kulturstaatsminister war ein langes Gespräch mit Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ein bewusstes Signal?
Ja. Josef Schuster war mein erster Gast überhaupt im Bundeskanzleramt. Er hat damit mein noch gar nicht fertig eingerichtetes Büro beseelt. Der Geschäftsführer des Zentralrats, Daniel Botmann, hat ihn begleitet. Das Gespräch war offen, vertrauensvoll und herzlich. Politisch würde man das wohl so formulieren: Wir sprachen im Zeichen der Solidarität und einer verlässlichen Partnerschaft.
Was haben Sie bei dem Gespräch mit Zentralratspräsident Josef Schuster am Mittwoch konkret vereinbart?
Wir haben mehrere Themen besprochen. Zum einen sind wir uns einig, dass die Restitution von NS-Raubgut in Deutschland verbessert werden sollte. Hier haben sich Bund, Länder und Kommunale Spitzenverbände vor kurzem darauf verständigt, die Beratende Kommission zu reformieren und zu einer Schiedsgerichtsbarkeit weiterzuentwickeln. Die Jewish Claims Conference und der Zentralrat der Juden in Deutschland waren an dem Reformprozess intensiv beteiligt. Durch die Einrichtung einer Schiedsgerichtsbarkeit soll den Zielen der Washingtoner Prinzipien und der Gemeinsamen Erklärung besser entsprochen werden. Dieses Schiedsgericht wollen wir gemeinsam und schnell besetzen, damit die Arbeit so bald wie möglich aufgenommen wird. Wir haben zudem einvernehmlich über das Rahmenkonzept Erinnerungskultur gesprochen. Für mich sollte die Singularität des Holocausts in diesem Konzept klar zum Ausdruck kommen. Es darf keinen Raum für Relativismus geben. Schließlich haben wir auch über Fördermöglichkeiten konkreter Projekte gesprochen. Hierzu wollen wir vertiefend die Frage besprechen, wie jüdische Kultur in Deutschland noch sichtbarer werden kann.
Laut Deutschem Bundestag ist die Anti-Israel-Boykottbewegung antisemitisch. Wie bewerten Sie den BDS?
BDS ruft zum Boykott gegen Israel, gegen israelische Waren und Dienstleistungen, israelische Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Sportlerinnen und Sportler auf. Dieser umfassende Boykottaufruf brandmarkt in seiner Radikalität israelische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger jüdischen Glaubens als Ganzes. Das ist völlig inakzeptabel. Richtigerweise haben alle Parteien der politischen Mitte CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP dies in einem Bundestagsantrag scharf verurteilt. Vor diesem Hintergrund sollten wir grundsätzlich keine Organisationen finanziell fördern, die das Existenzrecht Israels infrage stellen. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass Projekte, die zum Boykott aufrufen oder die BDS-Bewegung unterstützen, vom Staat nicht finanziell gefördert werden.
Wie erklären Sie sich den massiven Widerstand in linksorientierten Milieus, Antisemiten als Antisemiten zu bezeichnen, sofern sie aus dem »Global Süden« stammen oder sofern sie die Auslöschung des jüdischen Staates Israel fordern?
Wir haben in Deutschland leider ein mehrfaches Antisemitismus-Problem. Die stärker werdenden Rechtsextremen verbreiten antisemitische Stereotypen genauso wie Islamisten und Linksextreme. Bei Letzteren wächst in bestimmten Milieus eine aggressive Lust, Israel zu »canceln«. Sowohl in der DDR als auch in der alten Bundesrepublik grassierte sozialistischer Antisemitismus und hallt zuweilen in linksextremen Milieus nach. Es wird heute zuweilen vergessen, aber auch dem RAF-Terrorismus lag ein tiefer, brutaler Israel-Hass zugrunde
Ihr Ministerium hat am Mittwoch in einer Pressemitteilung darauf verwiesen, dass der Koalitionsvertrag vorsieht, »die Gedenkstättenlandschaft ebenso wie emblematische Orte der NS-Täter und der Zwangsarbeit mit einem Investitionsprogramm zur Substanzerhaltung zu stärken und innovative Ansätze für die Vermittlungsarbeit zu unterstützen«. Bedeutet das eine Aufstockung der finanziellen Mittel der Gedenkstätten?
Wir stehen vor Haushaltsgesprächen. Für eine Stärkung der Gedenkstätten möchte ich mich einsetzen.
Die Fragen an den Staatsminister für Kultur und Medien stellte Philipp Peyman Engel und Ayala Goldmann.