Das Paradies liegt im Souterrain. Durch zwei lange, schmale Fenster kann man von der Straße hineinsehen, blickt auf den grauen Boden, auf die weißen Wände, an denen Bilder hängen – in Pink, Gelb, dunklem Blau. In den Farben, in denen auch der Name des Künstlers auf den bodennahen Scheiben des regengrauen Hauses zu lesen ist: Navot Miller »Paradise«.
So sieht es also aus, das Paradies zwischen U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz und Volksbühne. Außen grau und innen vorbei an pinken, hellblauen, zartgelben Wänden, die Treppe hinab in den Raum, durch dessen schmale deckennahe Fenster die Schuhe der Passanten zu sehen sind.
Navot Miller hat gerade etwas Musik angestellt, schlank und groß ist er, er läuft in die Mitte seines Paradieses. Seine blondierten Pejes schwingen bei jedem Schritt, er trägt rosa-schwarze Sneaker, schwarze Jogginghose, ein Shirt mit einem Muster wie wilde Pinselstriche, ein paar Perlenketten um den Hals; durch die Brille schauen sanfte, große Augen.
»Ich trug einen pinken Anzug aus Seide, und dann ging alles ganz schnell.«
Sie strahlen, während Navot von der Vernissage erzählt, die vor wenigen Tagen stattfand. »Ich trug einen pinken Anzug aus Seide, und dann ging alles ganz schnell.« Er zeigt ein Video auf seinem Smartphone, das den Moment der Enthüllung zeigt. Dann stellt er sich vor eines seiner großen Bilder und ahmt mit erst langen dann ruckartigen Bewegungen dessen Enthüllung nach. Er geht, fast tanzt er wie bei einer Choreografie von Bild zu Bild. Hier noch ein Vorhang, daneben der noch. Als würde er wieder seinen rosa Seidenanzug tragen. Miller wollte ein bisschen Broadway mit nach Berlin bringen. Als Berliner und New Yorker wollte er diese beiden Städte› in denen er malt, bei der Vernissage mit ihren unterschiedlichen Stimmungen aufeinander wirken lassen.
»Pink, das ist für mich unbeschreiblich, das ist in mir.«
Seit ein paar Tagen liegen die grauen, blauen und mattrosa Vorhänge nun schon auf dem Boden. Sie fassen sich glatt und ein bisschen störrisch an. Wie Duschvorhänge. Die Aufgeregtheit der Vernissage ist einer luftigen Stille gewichen. Nur ein Vorhang hängt noch, aber nicht vor, sondern um ein Bild, das nicht nur wegen dieses Vorhangs zum Zentrum der Ausstellung wird. »The Shower (Kevin & Elliot in Zipolite)« ist 240 Zentimeter hoch und 170 breit. »Aber das«, sagt Navot und deutet mit ausgestrecktem Arm auf ein anderes Werk gegenüber, »fing eigentlich damit an.« Damit meint der 1991 Geborene die Reise an einen Ort, der für ihn seit vier Jahren mit Neubeginn verbunden ist. Zipolite in Mexiko. Ein kleiner Fleck an der Westküste, dem sein legendärer Ruf als Paradies für Nacktheit, Aussteiger und Freiheit vorauseilt.
Dort, am Pazifik, verbrachte Navot den Jahreswechsel mit Mat, James, Kevin, John und Elliot, fünf Freunden, die er alle in »Mermejita Sunset« gemalt hat. Sie waren frei, aßen Gummibärchen, die den Moment schärften, und er fing den Augenblick ein, den er sah, als er sich einen Schritt von den fünfen entfernt hatte. »Manchmal muss man eben ein Stück zurückgehen, um das eigentliche Bild zu sehen«, sagt der 34-Jährige.
Später dann nahm er Kevin und Elliot im Bad auf. Es sei, schrieb er auf seinem Instagram-Account, diese »echte Fürsorge, Leichtigkeit, Freundschaft, Verspieltheit und Liebe zueinander gewesen. Das werde ich an Beziehungen zwischen Menschen für immer wertschätzen.« Diesen Moment wollte Navot mit der Welt, die sich »seit dem 7. Oktober oft bedeutungslos, traurig – und wie wir auf Deutsch sagen ›nicht zu verstehen‹« anfühle, teilen.
Für den Maler war es eine Zeit des Suchens.
Dieser Tag, der 7. Oktober 2023, war für Navot nicht leicht. Die Nachrichten aus Israel im Kopf und ein Treffen mit der Galerie, in der nun »Paradise« zu sehen ist, im Terminkalender. André Schlechtriem, Partner bei Dittrich & Schlechtriem, hatte sich mit Navot verabredet, damit die beiden sich kennenlernen. Die Nachricht, die Navot auf seinem Smartphone zeigt, trägt das Datum des Tages, der alles veränderte. Navot liest sie vor, schnell, Wörter wie »sad mood«, »difficult« geben nur ansatzweise das wieder, was der gebürtige Israeli fühlt und eigentlich nicht in Worte fassen kann. »Und dann stand André mit einem riesigen Strauß voller Sonnenblumen vor der Tür – eingewickelt in pinkem Papier.«
Die Sonnenblumen des 7. Oktober 2023 schafften menschliches und künstlerisches Vertrauen. Für den Maler war es eine Zeit des Suchens. Es war auch eine Zeit, in der es in der Kunstszene plötzlich politisch wurde, in der nahe geglaubte Menschen ihm ein »Free Palestine« in einer Kurzmitteilung vor die Füße knallten. »Wenn das in New York passiert, ist es einer von vielen Unbekannten, der das im Vorbeigehen sagt«, erläutert Miller. Aber auch im Freundeskreis gab es solche Aussagen – meistens online. Verletzungen.
Sein Paradies sind die Menschen.
Antworten Residency, über die er sein winzig kleines 900-Dollar-Studio in Williamsburg ohne Fenster fand, waren nicht immer einfach, oftmals auch einsam. »Wie malt man Zusammensein in Einsamkeit? Was inspiriert mich?« Einen Teil der Antworten darauf fand Miller in zwei Männern: in Edward Hopper und in Eli. Hopper nimmt ihn mit auf eine Reise hin zum Detail, zu klaren Formen, zu kleinen Studien. Eli ist der, dem Navot sagt »I really, really, really, really like you«, obwohl er weiß, dass er ihm eigentlich sagen will »I am in love with you«. Es ist eine Vorstellung von Eli im Bild »Eli in Berry St.«, so wie Navot ihn sehen wollte. Er malt ihn in seinen Farben, in den Navot-Miller-Farben: orange, rot, lila, – auch immer wieder pink.
Was hat es nur auf sich mit diesem Pink? »Pink ist einfach ein Gefühl. Pink ist irgendwie in mir.« Es sei Ausdruck der Freiheit, dass er diese Farbe malt und – wie bei der Vernissage – auch am Körper trage. Gefunden hatte Navot den Stoff für seinen pinken Seidenanzug übrigens in New York; geschneidert haben ihn zwei ehemalige Kommilitoninnen der Kunsthochschule Weißensee, an der Navot Freie Kunst studierte.
Die Bilder entstanden in New York und Berlin. Ein Liebesbrief an die Stadt.
Elf Bilder, elf Paradiese. Erlebt an den Stränden von Mexiko, in den Straßen von New York, in der Wucht der französischen Alpen. Das Erlebte ist das Paradies, sagt Navot Miller. »Für mich funktioniert das Paradies nur in der Vergangenheit. Nicht im Bevorstehenden.« Was kommt, wird er malen, wenn es geschehen ist. Wie in seinem »Liebesbrief an Berlin«, wie Navot Miller seine Ausstellung auch nennt. Sein Paradies sind die Menschen. Ein Ort zum Bleiben, zumindest für den Moment.
»Paradise« ist bis zum 30. August in der Galerie Dittrich & Schlechtriem,
Linienstraße 23, in Berlin-Mitte zu sehen.