Kunst

»Der Moment zählt«

Die Künstler Norbert Bisky (l.) und Navot Miller zeigen ihre Werke in der Neuköllner Weserhalle. Foto: Gregor Matthias Zielke

Herr Bisky, Herr Miller, Ihre Doppel-Ausstellung heißt »Swing State«. Das Gefühl, auf einer Schaukel zu sitzen, was ruft das in Ihnen hervor?
Navot Miller: Für mich ist es definitiv mit der Kindheit verbunden, und zwar da, wo ich aufgewachsen bin, in einem kleinen Dorf im Norden Israels. Ich denke daran zurück, wie es war, auf dem Spielplatz zu sein, auf dem wir uns immer getroffen haben – freitagabends nach der Synagoge. Heute setze ich mich nicht mehr allzu oft auf eine Schaukel, aber wenn, dann erinnere ich mich an meine Kindheit.

Und bei Ihnen, Herr Bisky?
Ich glaube, Kindheit ist das Wichtigste bei der Schaukel. Und das Gefühl, keinen festen Boden unter den Füßen zu haben, in Bewegung zu sein, auch der Geschwindigkeitsrausch. Und immer die Möglichkeit, so richtig auf die Nase zu fallen.

Sind Sie da eher frei oder wird Ihnen schlecht?
Norbert Bisky: Wir haben ja die Fotos zu unserer Ausstellung auf dem Spielplatz gegenüber gemacht, und ich dachte ab einem gewissen Punkt: So, jetzt langsam reicht es.

In welchen Momenten setzen Sie sich denn als Erwachsener auf eine Schaukel, Herr Miller?
Vor ein paar Jahren habe ich hier in Berlin als Babysitter gearbeitet. Die Kinder waren sieben oder acht Jahre alt. Bei solchen Gelegenheiten also. Aber ich selbst schaukele nicht einfach so.
Bisky: Es ist natürlich auch total metaphorisch. Aber das Tolle ist, dass wir jetzt hier in der Ausstellung zwei Bilder haben, die man einfach bewegen kann. Das kann man ja sonst nicht mit Bildern, die starr an der Wand hängen.

Wie kam es eigentlich zu Ihrer künstlerischen Zusammenarbeit?
Bisky: Wir haben uns auf einer Ausstellung von Navot kennengelernt und sind gleich ins Gespräch gekommen. Irgendwann haben wir einen Artist Talk zusammen gemacht, und so entstand die Idee, einmal etwas »völlig Verrücktes« zu machen und eine gemeinsame Ausstellung zu planen.
Miller: Mir bedeutet die Ausstellung sehr viel, und ich bin sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit habe, meine Arbeiten zusammen mit Norbert zu zeigen. Ich hatte das Gefühl, dass Norbert und ich uns persönlich gut verstehen.

In der Einführung zur Ausstellung steht, dass Sie die Formate getauscht haben. Könnten Sie das ein wenig erläutern?
Bisky: Ich glaube, worauf der Text sich bezieht, ist, dass es von Navot Bilder in Öl auf Leinwand gibt und von mir Leinwand auf Spiegel. Das ist eine ganz aktuelle Arbeitsweise für mich, die ich erst seit zwei, drei Jahren mache. Wir haben darüber nachgedacht, wie man einen interessanten Bezug zwischen den Arbeiten herstellen kann, ohne dass es einfach so Leinwand, Leinwand und noch eine Leinwand wird. Es gibt jetzt bemalte Leinwände, Spiegel und Öl auf Papier.

2015 hatten Sie einen Ateliertausch mit Erez Israeli aus Tel Aviv, Herr Bisky. Damals sagten Sie, Sie hätten sich in Tel Aviv verliebt. Sind Sie das immer noch?
Ja, absolut. Ich komme ja aus einer ganz krassen, geschlossenen Gesellschaft in Ost-Berlin und bin, sobald die Mauer dann auf war, wirklich in die ganze Welt gereist. Ich habe mir unglaublich viele Orte angeguckt, und es gibt nur wenige Städte, die so toll sind, wo die Leute so lebendig sind und die Atmosphäre so großartig ist wie in Tel Aviv. Rio wäre auch eine harte Konkurrenz, aber Tel Aviv ist ein ganz großer Sehnsuchtsort.

War das mit Berlin bei Ihnen ähnlich, Herr Miller?
Ich bin seit fast zehn Jahren hier, und mir war klar, dass ich nach meinem Militärdienst in Israel versuchen will, woanders zu leben. Ich habe Berlin mehrmals besucht, und dann kam ich auf die Idee: Okay, ich ziehe hierher und werde Architektur studieren. Ich habe in Berlin sehr viel über mich verstanden. Was die Kunst angeht, was meine Homosexualität angeht. Ich kann das mit nichts vorher vergleichen.
Bisky: Du hast es super gesagt, Navot, dass du nach Berlin kommst, und dann sind dir Sachen hier klar geworden. Deshalb verändert man ja auch den Ort. So einen ähnlichen Effekt hatte ich in Tel Aviv. Mir sind da ein paar Dinge klar geworden.

Welche waren das?
Bisky: In Tel Aviv ist mir klar geworden: Du kannst dich überhaupt nicht raushalten, du bist mittendrin – in allem. Ich war vorher so sehr mit technischen Dingen, mit der Malerei beschäftigt, und dann war ich auf einmal in Gegenwartsthemen wie Politik. Damals war gerade Wahlkampf in Israel und ich mittendrin. Alle haben mich gefragt: Wie siehst du das? Was denkst du? Was hast du für eine Meinung? Ich dachte: Oh Gott, oh Gott, was weiß ich denn? Aber dann wurde mir klar: Ich muss! Ich bin in der Gegenwart. Ich muss mich damit beschäftigen. Der Moment zählt – jetzt! Die Leute leben jetzt! Viele meiner Freunde dort sind sehr viel mehr am Leben, als es hier in diesem etwas beruhigten nördlichen Europa der Fall ist, wo alle immer so eine Projektion in die Vergangenheit oder in die Zukunft haben. Fragen wie »Was wollen wir denn in zehn Jahren machen?« oder »Ist denn unser Rentenplan in Ordnung, wenn wir dann in 45 Jahren in Rente gehen?«. Tel Aviv hat mit sehr geholfen zu sagen: Jetzt ist, was zählt. Die Stadt hat mir unglaublich die Augen geöffnet. Ich bin natürlich nicht naiv und sehe ganz viele Probleme und Konflikte, aber dieses »Es ist der Moment, in dem du lebst«, das habe ich in Tel Aviv verstanden, und das ist in Berlin für mich nicht so klar gewesen. Vielleicht, wenn man aus Tel Aviv kommt, dann wird einem das in Berlin klar. Aber das hat eventuell etwas mit Distanz zu tun.
Miller: Und bei mir verhält es sich direkt entgegengesetzt. Ich bin mit 22 nach Berlin umgezogen und habe 22 Jahre so eine Art Leben, wie Norbert es beschreibt, mitgemacht. Also dieses Jetzt und: Du musst eine Meinung haben. Hinzu kommt das Laute, und genau davon wollte ich eine kleine Pause haben. Nordeuropa mit seinen sechs Monaten Grau hat mir das gegeben. Aber das macht Reisen nun einmal mit einem: Man trifft fremde Menschen, hört fremde Sprachen, erlebt fremde Kulturen. Reisen bedeutet mir unheimlich viel.

In der Ausstellung in der Weserhalle sind neben vielen anderen Werken auch zwei Porträts Ihrer Mütter zu sehen. Warum gerade sie?
Bisky: Soll ich jetzt eine ehrliche, ganz ehrliche Antwort geben? Also: Wir haben über den Ort hier geredet, und wir wollen natürlich immer eine interessante Ausstellung machen. Es gibt hier zwei sehr schöne Räume und dann noch einen dritten, einen kleineren, ein kleines Kämmerchen. Wir haben uns gefragt: Wollen wir da auch etwas ausstellen oder nicht? Und wenn ja, dann was? Etwas ganz »Roughes«, Dunkles, das man hinten in der Kammer zeigt, oder das Gegenteil von »rough« und »dirty«. Und beim Gegenteil waren wir beide sehr schnell beim Bild der eigenen Mutter. Es war auch ein ganz wahnsinniger Prozess – für mich zumindest, für dich wahrscheinlich auch, oder?
Miller: Also, ich fand die Idee von Anfang an super. In meinen Arbeiten sieht man oft Menschen, mit denen ich zu tun hatte, mit denen ich »rumgemacht« habe. Manchmal hat meine Mutter Schwierigkeiten mit meinem Lebensstil, aber wir stehen uns sehr nah, tauschen uns aus. Das finde ich stark! Es hat mir auch Spaß gemacht, meine Mutter zu malen.

Macht es einen Unterschied, mit dem Malen des Bildes der Mutter anzufangen als sonst mit einem Bild?
Miller: Bei mir schon. Ich wollte sehr präzise sein, und ich hoffe, ich habe das geschafft. Sie hat es gesehen, und es hat bestanden.
Bisky: Für mich war das komplett anders. Für mich war es eine richtige Reise, das Bild zu malen. Meine Eltern leben beide nicht mehr. Das heißt, ich musste mich auch irgendwie noch einmal ganz neu mit meiner Mutter beschäftigen. Die eigenen Eltern sind ja irgendwie immer da. Mit ihnen kann man sich streiten, man kann anderer Meinung sein, man kann die Tür knallen, dann kann man sich auch wieder vertragen – das ganze Theater. Und dann irgendwann sind sie einfach weg, weil sie nicht mehr am Leben sind. Dann kannst du diese Auseinandersetzung mit den eigenen Eltern gar nicht mehr führen. Ich denke oft über das Leben meiner Mutter nach und welche Fragen ich ihr vielleicht noch stellen würde, wie mein Blick auf sie ist. Wie habe ich sie gesehen? Und wie sehe ich sie jetzt? Es war ein krasser Prozess für mich. Und ich habe jetzt auch wirklich das allererste Mal ein Bild meiner Mutter gemalt – als junge Frau. Ich habe mir die ganzen alten Fotos angeschaut, auf denen sie im Grunde halb so alt war, wie ich es jetzt bin. Das ist ja sehr interessant: Eltern haben ein Leben vor der Geburt ihrer Kinder – aber die Kinder kennen dann immer nur die spätere, gewordene Person. Für mich war es eine sehr intensive und langwierige Sache, meine Mutter zu malen. Es ging mir nicht so einfach von der Hand wie die Bilder, die ich ansonsten die ganze Zeit sehr spielerisch mache.

Wäre es vielleicht anders gewesen, hätten Sie beide Ihre Väter gemalt?
Bisky: Ich glaube, es wäre aufregend, aber auch völlig anders gewesen. In meinem Fall würde ich dann sagen: Hey, da kannst du auch mal draufhauen. Das ist eine andere Situation.
Miller: Meine Mutter ist sehr stark mit meinem Vater verbunden. Die beiden sind ein Paar, und sie sind super und lustig. Wo meine Mutter ist, ist auch mein Vater zu sehen, aber eben nicht in der Art und Weise, sondern anders. Eltern sind generell ein Thema für eine Einzelausstellung.
Bisky: Was für mich auch übrigens total emotional war. Als ich in Tel Aviv war, war mein Vater schon gestorben. Meine Mutter lebte allein und hat mich dort besucht. Das war einer der wenigen Momente, in denen wir ein bisschen Zeit miteinander hatten und Gespräche führen konnten. Sie ist dann allein weiter ans Tote Meer gefahren. Ich musste irgendwelche »ganz wichtigen« Bilder malen und hatte keine Zeit, mit ihr dorthin zu fahren. Das bereue ich bis heute. Denn sie fand es dort wunderbar. Es gab auch in Tel Aviv so einen tollen Effekt, dass meine Mutter – sie hatte dunkle Haare – immer auf der Straße auf Hebräisch angesprochen und nach dem Weg gefragt wurde. Sie hat sich unglaublich wohlgefühlt in Tel Aviv. Daran musste ich in der Vorbereitung der Ausstellung ganz oft denken. Das war eine Zeit, die uns nochmal zusammengebracht hat.

Mit den beiden Künstlern sprach Katrin Richter.

Die Ausstellung »Swing State« ist noch bis zum 17. Juni in der Weserhalle, Weserstraße 46, in Berlin zu sehen.

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