Unterricht

Empathie stärken

Sinai, Tora, Schabbat: Unterrichtsstoff für den Schulunterricht Foto: Stephan Pramme

Wie kann ich die Schoa im Unterricht vermitteln, ohne aber jüdisches Leben in Deutschland und Europa auf sie zu reduzieren? Wie kann ich den Unterricht über den Staat Israel mit seiner Entstehungsgeschichte und steten Existenzgefährdung gestalten, gerade in einer Klasse, in der nicht nur zu- und eingewanderte junge Menschen mit einem mehr als kritischen Blick auf den jüdischen Staat aufgewachsen sind? Inwieweit sind Schulbücher und andere Medien zuverlässige Quellen?

Die immer wieder spürbare Unsicherheit vieler Lehrerinnen und Lehrer, die Antworten auf diese Fragen suchen, war ein bedeutsamer Anlass für die »Gemeinsame Erklärung zur Vermittlung jüdischer Geschichte, Religion und Kultur in der Schule«, die der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Kultusministerkonferenz (KMK) am Donnerstag dieser Woche unterzeichnen. Vereinbart wurden »Schritte zu einer zukunftsorientierten und authentischen Thematisierung des Judentums in der Schule«.

Schulbuchkommission Wichtige Grundlagen boten unter anderem eine Studie des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts zur jüdischen Geschichte im Schulbuch, die Orientierungshilfe des Leo-Baeck-Instituts zur deutsch-jüdischen Geschichte im Unterricht sowie die Empfehlungen der deutsch-israelischen Schulbuchkommission.

Manchen Satz der Präambel könnte man als Analyse des Ist-Zustandes lesen: »Das Judentum ist seit vielen Jahrhunderten integraler Bestandteil der deutschen und europäischen Kultur, Geschichte und Gesellschaft. Jüdisches Leben ist indes in vielen gesellschaftlichen Bereichen kaum sichtbar und wird, beispielsweise in Schulbüchern und anderen Bildungsmedien, vielfach nur auf einzelne Elemente oder auf einige wenige Epochen der Geschichte verkürzt, zum Teil verzerrt und undifferenziert dargestellt.«

Darüber hinaus geben judenfeindliche Einstellungen, die sich in unterschiedlichen Erscheinungsformen, unter anderem auch im schulischen Raum, immer wieder manifestieren, Anlass zu Besorgnis, heißt es in der Präambel. Ohne den Mut zur Kontroverse über den einen oder anderen Inhalt werde das Vorhaben nicht gelingen, auch nicht ohne emotionale Betroffenheit. »Ein auf Dialog hin orientierter Unterricht schließt Kritik und Selbstkritik ein, dazu gehören auch Anschauungen und Debatten in Christentum und Islam über Judenmission und Antijudaismus in Gegenwart und Vergangenheit.«

Balance Die Erklärung versucht durchgehend, eine Balance zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen, zwei Begriffe, die man auch in den Plural setzen könnte. Zwei andere im Plural verwendete Begriffe belegen, wie komplex dies ist: »Identitäten« und »Erscheinungsformen«. An anderer Stelle heißt es daher in der Erklärung: »Kenntnis und Erkennen der Vielfalt und Komplexität des Judentums sind wichtige Schritte zu seinem Verständnis sowie zum Abbau von Vorurteilen.«

Die Erklärung nennt zahlreiche Anknüpfungspunkte in Lehrplänen und Schulpraxis, in Fächern und Projekten der historisch-politischen Bildung, im Religionsunterricht aller Bekenntnisse, Fächern im Themenkreis von Philosophie und Ethik. Sie nennt auch Anknüpfungspunkte in vielen anderen Fächern, die durchaus geeignet sind, jüdisches Leben, jüdische Kultur, Religion und Geschichte den Schülern nahezubringen.

Yad Vashem Hervorzuheben ist die große Empathie der Passagen der Erklärung über Begegnungen mit Zeitzeugen der Schoa und ihren Nachkommen. Auch wenn Begegnungen mit dem Judentum nicht überall gleichermaßen in nächster Nähe möglich sind, will die Erklärung dazu ermutigen, Synagogen, Archive und Museen ebenso zu besuchen wie Gedenkstätten und Dokumentationszentren.

Auch die Online-Datenbanken von Yad Vashem und anderen Gedenkstätten können die jeweils individuelle Geschichte von Widerstand und Zivilcourage, existenzieller Bedrohung und unsäglichem Leid bezeugen helfen. All dies natürlich in jedem Fall mit einer reflektierten Vor- und Nachbereitung.

Die Erklärung soll möglichst viele Schulen für die angeregte Entdeckungsreise zur jüdischen Geschichte, Religion und Kultur gewinnen, die Schüler begeistern und ihre Empathie sowie ihre »Deutungs- und Reflexionskompetenz« stärken.

Die Autoren sind Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe, die die gemeinsame Erklärung erarbeitet hat.

Zahl der Woche

-430,5 Meter

Fun Facts und Wissenswertes

 12.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 13. November bis zum 20. November

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Interview

»Erinnern, ohne zu relativieren«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer über das neue Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung, Kritik an seiner Vorgängerin Claudia Roth und die Zeit des Kolonialismus in der deutschen Erinnerungskultur

von Ayala Goldmann  12.11.2025

Erinnerungspolitik

Weimer: Gedenkstätten sind zentrale Pfeiler der Demokratie

Das Bundeskabinett hat ein neues Konzept für Orte der Erinnerung an die NS-Verbrechen und die SED-Diktatur beschlossen. Die Hintergründe

von Verena Schmitt-Roschmann  12.11.2025 Aktualisiert

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  11.11.2025

Sehen!

»Pee-Wee privat«

Der Schauspieler Paul Reubens ist weniger bekannt als seine Kunstfigur »Pee-wee Herman« – eine zweiteilige Doku erinnert nun an beide

von Patrick Heidmann  11.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  11.11.2025