Sprachgeschichte(n)

Emmes steht für Wahrheit

Ein Wort aus dem Hebräischen, das uns im Jiddischen und in Geheimsprachen begegnet

von Christoph Gutknecht  02.02.2020 07:12 Uhr

Foto: Getty Images

Ein Wort aus dem Hebräischen, das uns im Jiddischen und in Geheimsprachen begegnet

von Christoph Gutknecht  02.02.2020 07:12 Uhr

Er verhieß Geschichten »aus den Papieren eines Berliner Kriminalbeamten«: 1987 erschien ein Nachdruck des 1844 anonym publizierten Fortsetzungsromans Die Geheimnisse von Berlin. Beigefügt sind ihm sechs Seiten aus Carl Wilhelm Zimmermanns Die Diebe in Berlin (1847) mit einschlägigem Vokabular und dem Eintrag:

»Emmes, m., das Geständnis. Daher Emmes machen oder Emmes pfeifen: ein Geständnis ablegen; Emmes putzen: die abgelegten Geständnisse zu seinem Vorteil wieder modifizieren. Ein lawer Emmes, d.h. gar kein Emmes, eine Lüge oder Unwahrheit; die Emmesprise: der Tabak, den Inquirenten gewöhnlich den geständigen Angeklagten verabfolgen lassen.«

Jiddisch Alfred Klepschs Westjiddisches Wörterbuch (1973) weist Emmes der Viehhändlersprache, dem Jüdischdeutschen und dem Jiddischen zu. Erich Bischoff nennt im Glossar Jüdisch-deutscher und deutsch-jüdischer Dolmetscher (1916) als Kurzform das gaunersprachliche Adjektiv ems (richtig, gut), Hansjörg Roth in Barthel und sein Most (2007) den Emmesfiesel (der Gaunerkünste und -sprache beherrscht) und den Emmesgadscho (Verräter).

Anja Liedtke und Meir Schwarz erwähnen im Wörterbuch So sagt man halt bei uns (2012) die Adjektiv-Ableitung emesdig. Hans Peter Althaus verweist 2015 in Chuzpe, Schmus & Tacheles auf die Schülerillustrierte »Hilf mit!«, in der man 1937/38 Juden zu diffamieren suchte, indem man ihnen rotwelsche Formen zuwies: »Wenn Se mir zusagen, dass ich kein Knast (Strafe) bekomme, will ich Ihnen den Emmes dibbern (die Wahrheit sagen) über die Einbrüche.«

Wahrheit Worthistorisch ist seit dem biblischen Hebräisch das Substantiv emét (Beständigkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit, Ehrlichkeit, Treue) belegt; im Jiddischen wie im Iwrit gilt die Bedeutung »Wahrheit«; das Jenseits ist für die Rabbiner Ojlem-Emmes, die Welt der Wahrheit.

Von 1920 bis 1939 gab es das Moskauer Blatt »Der Emes«, ein jiddisches Pendant zur russischsprachigen »Prawda«. Werner Weinberg führt in Die Reste des Jüdischdeutschen (1973) das Substantiv (der reine emmes = die reine Wahrheit) und das variabel als Interjektion benutzte Adjektiv (wirklich!/bist du sicher?) auf.

Um die Wahrheit ringen auch Sinnsprüche. Abraham Tendlau sondiert 1860 in Jüdische Sprichwörter und Redensarten: »Warum sind in Scheker (Lüge) die Buchstaben beieinander (im hebräischen Alphabet folgen sich die Buchstaben Koph, Resch, Schin, die das Wort Scheker bilden, unmittelbar), in Emet (Wahrheit) hingegen weit voneinander (das Aleph ist der erste Buchstabe, das Mem ein mittlerer und das Taw der letzte des Alphabets)?«

Schwindel Die Antwort: »Lüge ist häufig, Wahrheit selten.« K.F.W. Wanders Deutsches Sprichwörter-Lexikon (1867) zitiert: »Der Emmes is der größte Schwindel«; Salcia Landmanns Jüdische Anekdoten (1965) betonen: »Der halber emess is der geferlichster lign.« Der polnische Komponist Mordechaj Gebirtig (1877–1942) fragt in einem Lied: »Shloymele liber, kh‹vil endlekh visn, zog mir dem emes, vos iz mit dir?«

Emmes überlebt in Sonder- und Geheimsprachen. Christian Efings Studie Das Lützenhardter Jenisch (2005) widmet sich dem Gaunerdialekt nahe Freudenstadt. Jenisch, abgeleitet von der Romanes-Wurzel dzanel (wissen), ist ein funktionsbezogener Sprachname – ähnlich dem westfälischen Emmes, dem Hundshagener Kochum der Eichsfelder Wandermusikanten (hebr. chochem = klug) und der rheinischen Kundensprache, der »Sprache der Kundigen«.

In ihrer Arbeit über Das Mastbrucher Emmes (2013) deuten Klaus Siewert und Jens Klüsekamp das noch heute von Jugendlichen im Paderborner Schloß Neuhaus benutzte Idiom.

Alexander Estis

»Ich bin Pessimist – aber das wird bestimmt bald besser«

Der Schriftsteller über die Folgen der Kriege in der Ukraine und Nahost, Resilienz und Schreiben als Protest

von Ayala Goldmann  12.12.2024

Kino

Film-Drama um Freud und den Lieben Gott

»Freud - Jenseits des Glaubens« ist ein kammerspielartiges Dialogdrama über eine Begegnung zwischen Sigmund Freud und dem Schriftsteller C.S. Lewis kurz vor dem Tod des berühmten Psychoanalytikers

von Christian Horn  12.12.2024

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Dezember bis zum 18. Dezember

 12.12.2024

London

Hart, härter, Aaron Taylor-Johnson

Ein Marvel-Schurke zu sein, ist körperlich extrem anstrengend. Dies räumt der jüdische Darsteller nach dem »Kraven The Hunter«-Dreh ein

 11.12.2024

PEN Berlin

»Gebot der geistigen und moralischen Hygiene«

Aus Protest gegen Nahost-Resolution: Susan Neiman, Per Leo, Deborah Feldman und andere verlassen den Schriftstellerverein

 11.12.2024

Medien

»Stern«-Reporter Heidemann und die Hitler-Tagebücher

Es war einer der größten Medienskandale: 1983 präsentierte der »Stern« vermeintliche Tagebücher von Adolf Hitler. Kurz darauf stellten die Bände sich als Fälschung heraus. Ihr »Entdecker« ist nun gestorben

von Ann-Kristin Wenzel  10.12.2024

Imanuels Interpreten (2)

Milcho Leviev, der Bossa Nova und die Kommunisten

Der Pianist: »Ich wusste, dass ich Bulgarien verdammt zügig verlassen musste«

von Imanuel Marcus  10.12.2024

Glosse

Der Rest der Welt

»Mein kleiner grüner Kaktus« – ein Leitfaden für Frauen von heute

von Nicole Dreyfus  10.12.2024

Gelsenkirchen

Bayern-Trainer Kompany: Daniel Peretz genießt mein Vertrauen

Daniel Peretz soll Manuel Neuer bis zum Jahresende im Bayern-Tor vertreten. Trainer und Mitspieler vertrauen dem Israeli. Neuer könnte in einem Monat in Gladbach zurückkehren

 10.12.2024