Mit Autobiografien ist es so eine Sache. Einerseits stimmt George Orwells Diktum, wonach eine Autobiografie, die nichts Schlechtes über den Autor sagt, nicht gut sein kann. Zudem beziehen Lebensberichte ihre Spannung auch daraus, ungeschönte Einsichten des Autors über andere zu erfahren.
Auch deshalb hat sich Michael Wolffsohn lange dagegen gewehrt, sein Leben aufzuschreiben, wie der Historiker am Montag im Jüdischen Museum Berlin bei der Vorstellung seiner Autobiografie verriet. Doch nun, wo er das Buch geschrieben habe, könne er weder Selig- noch Heiligsprechungen versprechen, kündigte Wolffsohn an. Weder mit Blick auf andere als auch auf sich selbst wohlgemerkt.
Debatten Tatsächlich wirft Wolffsohn in seinem Buch einen ungeschönten Blick auf einige der großen Debatten der Bundesrepublik und ihren Protagonisten. Sei es die heftige Attacke des FDP-Politikers Jürgen Möllemann (O-Ton-Wolffsohn: »Speerspitze der deutschen Arabien-Lobby und Israel-Grundsatzkritiker vom Dienst«) gegen Michel Friedman. Martin Walsers skandalöse Friedenspreisrede in der Frankfurter Paulskirche 1998 (»Walser prangerte ein Zuviel zum und über den Holocaust geradezu wutschnaubend an«). Oder die sogenannte Folterdebatte nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, in deren Verlauf Wolffsohn vom damaligen Verteidigungsminister Peter Struck über Tage hinweg öffentlich angefeindet wurde. Nicht selten erwähnt er dabei, einige Male auch selbst mit Äußerungen übers Ziel hinausgeschossen zu sein.
Einen ungleich größeren Raum nimmt in dem Buch indes das Leben der Familie Wolffsohn vor und nach der Zeit des Nationalsozialismus ein. »Dies ist keine Opfer- und Unglücks-, sondern eine Glücksgeschichte. Oder sagen wir lieber: fast eine Glücksgeschichte«, schreibt Wolffsohn gleich zu Beginn des Buches. Seine Eltern hatten den Holocaust überlebt, indem sie gerade noch rechtzeitig nach Palästina flüchteten. »Das finde ich ungeheuer beeindruckend und souverän, dass sie trotz ihres Schicksals immer sagen konnten: ›Ja, wir sind glücklich!‹ Das prägt mich bis heute.«
Wolffsohns Großvater Karl errichtete in den 20er-Jahren mitten im Berliner Arbeiterbezirk Wedding die »Gartenstadt Atlantic«. In der Wohnanlage konnten auch Menschen mit kleinem Einkommen ein neues Zuhause finden. Und Träume vom besseren Leben waren schließlich das Geschäft des Verlegers und Archivars, dessen »heißes Herz« nur für das schlug, was im Leben wirklich wichtig ist – die Filmkunst. Ihm gehörten eine Reihe großer Lichtspielhäuser in ganz Deutschland.
ns-zeit Doch ab 1933 wurde Karl Wolffsohn fast alles geraubt. Schon ein Jahr später war ihm nur noch die Berliner »Lichtburg« geblieben. Zwar konnte er sich zunächst über Umwege die Aktien der Gartenstadt sichern. Im August 1938 aber wurde Karl Wolffsohn von den Nazis verhaftet.
Erst 1939 kam er frei und konnte sich einer neuerlichen Verhaftung nur dadurch entziehen, dass er mit seiner Frau nach Palästina floh. Dort lernte sein Sohn Max eine hübsche Jüdin aus Deutschland kennen. 1947 wurde Michael Wolffsohn in Tel Aviv geboren. »Der Rest ist Geschichte«, wie der Historiker bei der Buchpräsentation anmerkte. Deutsche Geschichte eben.
Michael Wolffsohn: »Deutschjüdische Glückskinder. Eine Weltgeschichte meiner Familie«. dtv, München 2017, 440 S., 26 €