»Maestro«

Ein Mensch mit kreativer Energie, Egozentrik und Selbstzweifeln

Bradley Cooper spielt in »Maestro« Leonard Bernstein. Foto: picture alliance / Evan Agostini/Invision/AP

Als das Telefon klingelt, liegt der junge Leonard Bernstein (Bradley Cooper) noch mit seinem Lover im Bett, dem Klarinettisten David Oppenheim (Matt Bomer). Anruf von der Carnegie Hall, ob er abends als Dirigent einspringen könne. Es wäre seine Premiere in dem weltberühmten Konzerthaus. Bernstein nimmt die Herausforderung euphorisch an - und triumphiert. Mit diesem einschneidenden Moment setzt »Maestro« ein, die Filmbiografie über einen der wichtigsten und auch außerhalb von Klassikkreisen bekannten Dirigenten und Komponisten des 20. Jahrhunderts.

In schnellen Sprüngen erzählt »Maestro« auch, wie Bernstein bei einer Hausparty das junge Broadway-Starlet Felicia Montealegre (fantastisch: Carey Mulligan) kennenlernt, die beiden heiraten und Kinder bekommen. Hauptdarsteller, Regisseur und Drehbuchautor Bradley Cooper und sein Co-Autor Josh Singer interessieren sich weniger dafür, was Bernstein als Komponisten und Dirigenten ausmacht, als für sein turbulentes Privatleben.

Das ist geprägt vom Hin und Her seiner Ehe mit Felicia, die durch seine Affären mit jungen Männern und sein Geltungsbedürfnis auf die Probe gestellt wird. Die Faszination zwischen ihm und Felicia ist unbestritten, doch sie scheint eine geistige Chemie zu sein, die in zahlreichen rasanten Wortwechseln zum Ausdruck kommt. Die Bisexualität ihres Mannes nimmt Felicia zur Kenntnis, groß geredet wird darüber nicht.

Für Cooper war der Stoff jahrelang geradezu eine Mission

»Maestro« ist die zweite Regiearbeit von Bradley Cooper, nach seinem oscarprämierten Remake von »A Star Is Born« 2018. Für ihn war der Stoff jahrelang geradezu eine Mission. Es wird schnell klar, was ihn an dem Mann fasziniert, der mit Sendungsbewusstsein Klassik populär machte und durch seine eloquenten Auftritte zur Ikone wurde.

Ein Erschaffer von Musik ebenso wie seines eigenen Images. Und damit auch offensichtlich Vorbild für Cooper, der als Schauspieler in Serien und Kinonebenrollen begann und sich zum Charakterdarsteller entwickelte, bevor er schließlich auch hinter der Kamera agierte.

Ähnlich wie Bernstein, der die Bühnen stürmte, als seien sie für ihn gemacht, schöpft Cooper in »Maestro« enthusiastisch aus dem filmischen Repertoire. In brillanten Schwarz-Weiß-Bildern zaubert er mit großartigem Gespür für Rhythmus ein Biopic, das Konventionen elegant umtanzt und zugleich in seinen Inszenierungsstrategien immer wieder klassisches Hollywoodkino zitiert. Und in der Hauptrolle als die Welt umarmender Narzisst setzt sich Cooper selbst in Szene. Das bringt ihn nicht nur in Stellung fürs Oscarrennen, es fügt auch der Auseinandersetzung um männlichen Geniekult noch eine Metaebene hinzu.

Bradley Cooper wurde »Jewfacing« vorgeworfen

Im Vorfeld wurden Zweifel laut, ob er als Nicht-Jude der Richtige für die Hauptrolle sei. Nicht zuletzt die Prothese, um Bernsteins prominente Nase zu imitieren, stand in der Kritik. Angelehnt an das als rassistisch verpönte »Blackfacing«, das Bemalen weißer Gesichter mit schwarzer Farbe, wurde der Begriff »Jewfacing« debattiert. Seit die Kinder des 1990 Verstorbenen den Film bei der Weltpremiere in Venedig in Schutz nahmen und auch die Anti-Defamation League erklärte, es handle sich um keine antisemitischen Klischees, scheint die Sache weitgehend erledigt.

Tatsächlich hat Coopers Darstellung nichts von einer Karikatur, sondern nimmt den Menschen hinter der Fassade ernst. Deutlich wird Bernsteins überbordende Energie und Kreativität, sein Charme, aber auch seine Selbstzweifel und seine Egozentrik, die für sein Umfeld immer wieder schmerzhaft waren. Der Film beschönigt das nicht, auch das macht »Maestro« reizvoll und sehenswert.

Dass die musikalische Ebene fehlt, ist dennoch schade. Gegen Ende probt ein in die Jahre gekommener Bernstein mit Nachwuchsmusikern. Als Mentor eines jungen Dirigenten lässt er diesen immer wieder dieselbe Stelle einer Symphonie spielen, fast pedantisch wirkt sein Hinweisen auf kleinste Feinheiten, die doch den Unterschied zwischen Mittelmaß und großer Kunst ausmachen.

Gäbe es mehr solch präzise beobachteter und gespielter Momente, in denen auch Bernsteins musikalischer Schaffensprozess erfahrbar würde, hätte »Maestro« tatsächlich ein Meisterwerk werden können.

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