Klassik

Ein Leben zwischen Ost und West

Entwickelte mit der Polystilistik seinen eigenen Stil, in dem er Zitate aus verschiedenen Zeiten und Genres verarbeitete: Alfred Garrijewitsch Schnittke (1934–1998) Foto: dpa

Klassik

Ein Leben zwischen Ost und West

Alfred Schnittke gehört zu den wichtigsten Komponisten der Gegenwart. Eine Würdigung zum 20. Todestag

von Wilhelm Roth  03.08.2018 09:54 Uhr

Alfred Schnittke, der heute vor 20 Jahren am 3. August 1998 in Hamburg starb, war einer der großen russischen Komponisten in der Zeit nach Schostakowitsch. Wie viele andere Künstler hatte er immer wieder Schwierigkeiten mit der Kulturpolitik der UdSSR. Er nutzte jede Gelegenheit, in Westeuropa zu studieren und zu komponieren.

Schon seine Herkunft war zur Zeit des Stalinismus ein Makel: Alfred Schnittke wurde am 24. September 1934 in Engels in der wolgadeutschen Sowjetrepublik geboren. Sein Vater Harry Schnittke, ein jüdischer Journalist und Übersetzer, stammte aus Frankfurt am Main, seine Mutter, die Deutschlehrerin Marie Vogel, war Wolgadeutsche. Stalin stellte die Wolgadeutschen unter den Verdacht der Kollaboration, sie wurden deportiert und in Arbeitslager gezwungen.

Moskau Der junge Schnittke aber konnte 1946 in Wien – wo die Familie eine Zeit lang lebte – mit seiner musikalischen Ausbildung beginnen. Ab 1953, dem Todesjahr Stalins, studierte er am Moskauer Konservatorium. Von 1961 an unterrichtete er dort selbst Komposition, 1973 gab er die Lehrtätigkeit zugunsten des Komponierens auf.

Schnittke war außerordentlich produktiv: neun Symphonien, vier Streichquartette, zahlreiche Orchester- und Chorwerke, Kammermusik in ganz verschiedenen Besetzungen. Und er komponierte drei Opern, die aber erst in den 90er-Jahren entstanden, als er bereits in Hamburg lebte.

Er entwickelte einen eigenen Stil, die Polystilistik: Schnittke verarbeitete in seinen Kompositionen Zitate aus verschiedenen Zeiten und Genres, vom klassischen Barock bis zum aktuellen Schlager. Er konfrontierte innerhalb eines eigenen Werks die vergangene Musik mit der gegenwärtigen.

Freiheit Auf den ersten Blick überraschend ist seine umfangreiche Tätigkeit für den sowjetischen Film. Zu mehr als 70 Filmen hat er die Musik komponiert, darunter für sehr bekannte Werke wie Die Kommissarin (1967) von Alexander Askoldow, das erst in der Perestroika-Zeit 1987 uraufgeführt werden konnte. Die Filmindustrie in der Sowjetunion besaß erstaunlich viel künstlerische Freiheit, und sie zahlte nicht schlecht.

1992 komponierte Schnittke für das ZDF die Musik zu dem Stummfilm Die letzten Tage von St. Petersburg (1927) von Wsewolod Pudowkin. Sein Partner bei diesem und einigen anderen Filmen war Frank Strobel – der Filmspezialist unter den deutschen Dirigenten.

Schnittke erlitt 1985 seinen ersten Schlaganfall. 1990 konnte er nach Hamburg umziehen, bekam eine Professur für Komposition an der Musikhochschule. In Hamburg erlitt er noch drei weitere Schlaganfälle.

Triumph Trotz dieser starken Beeinträchtigung schuf er dort noch einige seiner wichtigsten Werke, darunter seine Opern. Diese wenigen Hamburger Jahre waren seine große Zeit. Bedeutende Musiker und Dirigenten, darunter Freunde wie der Geiger Gidon Kremer oder der Dirigent Gennadi Roschdestwenski, führten seine Kompositionen auf, besonders auf den großen Musikfestivals. Das machte ihn bekannt.

Der wohl größte Triumph war 1992 die Uraufführung seiner ersten Oper Leben mit einem Idioten in Amsterdam, dirigiert von Mstislaw Rostropowitsch. Die Amsterdamer Aufführung, musikalisch hinreißend, wurde zum Horrortrip durch eine Familienkatastrophe, ausgelöst durch einen Eindringling namens Wowa.

Die beiden anderen Opern, beide 1995 uraufgeführt, reichen nicht an die Vitalität des Idioten heran. Gesualdo, die Geschichte des Komponisten und Mörders, der 1613 starb, und die Faust-Oper Historia von D. Johann Fausten – nicht nach Goethe, sondern nach einer frühen Version von 1587 – sind bisher kaum gespielt, also auch kaum auf ihre theatralische Kraft getestet worden.

Staatsakt Schnittke trat kurz vor seinem Tod in Hamburg zum Christentum über. Beigesetzt wurde er in einem Staatsakt auf dem Nowodewitschi-Friedhof in Moskau. Russland hat sich mit diesem Akt doch noch zu seinem berühmten Sohn bekannt.

Heute ist es um Schnittkes Werk ruhiger geworden. So wurde zum Beispiel die Oper Leben mit einem Idioten nach der Amsterdamer Uraufführung schon 1993 in Wuppertal gespielt, aber dann erst wieder im vergangenen Jahr im experimentierfreudigen Stadttheater in Gießen, wo das Publikum sehr positiv reagierte.

Es gibt es genug Werke, mit denen man eine Wieder- oder Neuentdeckung starten könnte, zum Beispiel das wunderschöne kleine Stück Moz-Art, von dem mehrere Versionen existieren. Gidon Kremer spielt es bis heute in seinen Konzerten immer wieder gern – und trägt so bewusst dazu bei, Schnittkes Werk am Leben zu erhalten.

Berlin

Mut im Angesicht des Grauens: »Gerechte unter den Völkern« im Porträt

Das Buch sei »eine Lektion, die uns lehrt, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten Menschen gab, die das Gute dem Bösen vorzogen«, heißt es im Vorwort

 17.09.2025

Israel

»The Sea« erhält wichtigsten israelischen Filmpreis

In Reaktion auf die Prämierung des Spielfilms über einen palästinensischen Jungen strich das Kulturministerium das Budget für künftige »Ophir«-Verleihungen

von Ayala Goldmann  17.09.2025

Berlin

»Stärker als die Angst ist das menschliche Herz«

Die Claims Conference präsentiert in einem Bildband 36 Männer und Frauen, die während der Schoa ihr Leben riskierten, um Juden zu retten

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Auszeichnung

Theodor-Wolff-Preis an Journalisten vergeben

Der Theodor-Wolff-Preis erinnert an den langjährigen Chefredakteur des »Berliner Tageblatts«, Theodor Wolff (1868-1943)

 17.09.2025

Los Angeles

Barbra Streisand über Dreh mit Robert Redford: »Pure Freude«

Mit dem Klassiker »The Way We Were« (»So wie wir waren«) brachen die beiden Stars in den 70er-Jahren Millionen Herzen. Nach dem Tod von Redford blickt Hollywood-Ikone Streisand zurück auf den Dreh

von Lukas Dubro  17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Für Toleranz, Demokratie: Margot Friedländer Preis vergeben

Es ist die erste Preisverleihung nach dem Tod der Stifterin. Ausgezeichnet wird der Einsatz für die Ideale der im Frühjahr gestorbenen Holocaust-Überlebenden

 17.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 16.09.2025

Eurovision Song Contest

Streit um Israel: ESC könnte wichtigen Geldgeber verlieren

RTVE ist einer der fünf größten Geldgeber des Eurovision Song Contest. Umso schwerer wiegt der Beschluss, den der spanische Sender verkündet

 16.09.2025