»Judas«

Ein Land wie ein Esel

»Wir sind alle Judas«: Amos Oz Foto: dpa

Amos Oz’ neuer Roman Judas ist zum einen ein Buch über eine Liebe, die letztlich unerfüllt bleibt. Es geht auch um religiöse und kulturelle Mythen sowie – bei diesem Autor nicht anders zu erwarten – um den Dauerkonflikt zwischen Juden und Arabern.

Oz ist ein politischer Schriftsteller, der an ein friedliches Nebeneinander beider Völker glaubt, auch wenn das aktuell unmöglich scheint. Seine Landsleute in Israel fordert er deshalb immer wieder auf, sich nicht auf die Macht der militärischen Überlegenheit allein zu stützen, sondern nach neuen Wegen des Zusammenlebens im Nahen Osten zu suchen.

Alle drei Erzählebenen – Liebe, Religion und Politik – werden im Buch zusammengeführt durch die Figur des Judas Ischariot, eines der Jünger Jesu, der in der christlichen Überlieferung als mitverantwortlich für dessen Kreuzestod gilt – und dessen Name seitdem für Verräter und Verrat schlechthin steht.

lebensthema Anfang der 60er-Jahre wird diese Gestalt zum Lebensthema für den Studenten Schmuel Asch, der wegen finanzieller Schwierigkeiten sein Studium abbricht, seine Abschlussarbeit über »Judas in der Perspektive der Juden« liegen lässt und zu einer Familie in Jerusalem zieht, bei er sich gegen geringen Lohn um die Betreuung eines alten Mannes namens Gerschom Wald kümmert. Dessen schöne, verwitwete Schwiegertochter Atalja Abrabanel hat es Schmuel trotz des erheblichen Altersunterschieds angetan, obwohl er immer noch seiner langjährigen Freundin Jardena nachtrauert, die im letzten Augenblick einen anderen geheiratet hat.

Schmuel ist wenig ansehnlich, nahe am Wasser gebaut und reichlich ungeschickt. Er gehört zu jener Sorte Menschen, die auf langwährende Bemutterung angewiesen sind. Irgendwie hat er das Gefühl, vom Leben betrogen oder zumindest enttäuscht zu sein. Trost bieten ihm die Gespräche mit Ataljas etwas wunderlichem Schwiegervater Gerschom, der sich zu nächtlicher Stunde gerne mit Schmuel unterhält, vor allem über den Zionismus und die Feindseligkeit zwischen Juden und Palästinensern. Auch den alten Herrn Wald beschäftigt die Frage: Warum werden die Juden von so vielen gehasst? Wer hat Schuld daran? Die Antwort: der Jesusverräter Judas. Denn: »Wir alle sind Judas Ischariot.«

rolle
Angeregt durch diese Gespräche kramt Schmuel wieder seine abgebrochene Examensarbeit über die Rolle von Judas im jüdischen Verständnis hervor und kommt dabei zu nicht ganz neuen, aber doch interessanten historisch-theologischen Überlegungen. Im Gespräch mit seiner angebeteten Atalja beharrt er darauf, dass Jesus kein Christ war, sondern als Jude geboren und gestorben ist.

Judas, so Schmuel weiter, sei der treueste und ergebenste der Jünger Jesu gewesen und habe ihn auch nicht verraten. Im Gegenteil: Judas war der erste Christ, weil er als Erster daran glaubte, dass Jesus sich aus eigener göttlicher Vollmacht vor dem Kreuz hätte retten können – wenn er nur gewollt hätte. Ohne Judas hätte es folgerichtig weder Sterben noch Auferstehung Jesu mit dem damit verbundenen Heilsversprechen für den gläubigen Christen gegeben.

Schmuel hat in Atalja eine geduldige Zuhörerin. Beide kommen sich mit der Zeit näher, und er erfährt ihre Familiengeschichte. Ataljas Vater, Schealtiel Abrabanel, gehörte zur Leitung der Jewish Agency und war Mitglied der Zionistischen Weltorganisation. In der Zeit des Jischuw verstand er sich besser mit den Arabern als mit den eigenen Leuten. Das machte ihn für viele Israelis zum Verräter, zumal Abrabanel nichts von der Gründung eines jüdischen Staats hielt, dem er wegen der feindlichen Nachbarn kaum eine Überlebenschance einräumte.

unabhängigkeitskrieg
Am Ende seiner Tage lebte er gemeinsam im Haus mit Gerschom Wald. Dessen Sohn Micha, ein Mathematiker, den Atalja vor der Staatsgründung geheiratet hatte, war 36 Jahre alt, als er im Unabhängigkeitskrieg 1948 als Reservist in einen Hinterhalt geriet und auf grausame Weise umgebracht wurde. Atalja macht seitdem – ganz im Sinne ihres Vaters – den militärischen Geist des israelischen Staates auch für ihre private Tragödie verantwortlich.

Trotz der zunehmenden Nähe bleibt Atalja für Schmuel am Ende unerreichbar. Schließlich geht er, verlässt Jerusalem und sucht sich in Beer Sheva eine neue Bleibe. Wie im Privaten gibt es auch für den Staat Israel bei Amoz Oz kein Happy End. Zu stark die innere Zerrissenheit der Gesellschaft, zu hartnäckig die Vorurteile und Denkmuster. Wie es im Buch in Anlehnung an ein Wort von Chaim Weizmann heißt: »Das ist ein Land, das einem Esel gleicht.«

Amos Oz: »Judas«. Roman. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Suhrkamp, Berlin 2015, 332 S., 22,95 €

Andrea Kiewel

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