»In Therapie« auf ARTE

Ein Land auf der Couch

Zur ARTE-Sendung In Therapie (11/35): Philippe Dayan (Frédéric Pierrot) versucht, Ariane (Mélanie Thierry) durch eine Therapie zu helfen. Foto: Carole Bethuel

Ariane hat Tränen in den Augen und wirkt doch völlig abgeklärt, als sie über ihre Klinikstation nach den Anschlägen vom November 2015 spricht. »Es war vollkommene Totenstille. Und es waren Verletzte und Bahren und Blut überall«, erzählt die Chirurgin ihrem Psychotherapeuten Philippe Dayan Tage nach dem Terror in Paris. »Es war so bizarr. Irgendwie wie ein Ballett.«

Irgendwann seien die OP-Handschuhe ausgegangen. Seit die Arte-Serie »In Therapie« Anfang Februar mit diesem Patientengespräch zeitgleich in Frankreich und Deutschland startete, macht sie Furore. Am Donnerstag ist Teil 11 bis 15 der 25-Minuten-Folgen dran. Per Mediathek kann man rasch aufholen.

Echo Besonders im Nachbarland ist das Echo gewaltig. Dort wurden die online gestellten Videos nach dem Mediatheken-Start Ende Januar bereits 18 Millionen Mal angeklickt. Eine Erfolgswelle, die auch Arte als sensationell bezeichnet. Dabei sind Therapie-Sendungen gerade in Frankreich schon lange nichts Neues mehr.

Die Tageszeitung »Le Parisien« erklärt den Erfolg der Serie in 35 Teilen als kollektive Therapie. Denn sie greift auf ein Drama zurück, das Frankreich bis ins Mark erschüttert hat: den Angriff auf die Pariser Konzerthalle Bataclan am 13. November 2015 mit mindestens 89 Toten.   

Die Adaption greift auf ein Drama zurück, das Paris erschütterte: den Angriff auf die Konzerthalle Bataclan am 13. November 2015 mit mindestens 89 Toten.

Bei »In Therapie« empfängt der Psychotherapeut Philippe Dayan in seiner Pariser Praxis fünf Klientinnen und Klienten. Jede Sitzung entspricht einer bis zu 30-minütigen Folge. Mehr als sieben Wochen wohnt man den wöchentlichen Analysen bei.

Die erste beginnt drei Tage nach den islamistischen Anschlägen am 16. November mit Ariane, die nach dem Massaker im Bataclan pausenlos Verletzte operieren musste. Ihr folgt Adel. Er ist Polizist einer Spezialeinheit, die an jenem Freitagabend im Einsatz war. Er erzählt, wie er durch Blut und über Leichen waten musste. Bilder, die ihn seitdem nicht mehr loslassen.  

KRISEN Neben den beiden kommen noch eine 16-jährige Leistungsschwimmern mit suiziden Absichten und schließlich das Paar Damien und Léonora in Philippes Praxis, die tief in einer Beziehungskrise stecken. Auch wenn keiner der Protagonisten bei den mörderischen Anschlägen unmittelbar verletzt wurde, haben die Attentate sie alle in irgendeiner Weise getroffen.

Auch Philippe, dessen Wohnung nur wenige Schritte von dem Ort des Terrors entfernt liegt. Er hofft, Hilfe bei einer ihm bekannten Therapeutin zu finden, zu der er vor Jahren den Kontakt abgebrochen hatte. Überall herrsche Krieg, erklärte Philippe die Situation. Alle Beziehungen in der Gesellschaft seien angespannt. 

»In Therapie« ist die französische Adaptation einer der wohl meist exportiertesten israelischen Serien. Unter dem Titel »BeTipul« lief sie dort zwischen 2005 und 2008. Seitdem wurde sie in zahlreichen Ländern exportiert und dem entsprechenden Kontext angepasst. 

Es ist die erste Serie des Erfolgduos Éric Toledano und Olivier Nakache, das mit »Ziemlich beste Freunde« international bekannt wurde. Mit Fingerspitzengefühl und Leichtigkeit haben die Regisseure die Serie auf den französischen Kulturraum übertragen. Aus den Einzelschicksalen haben sie das Bild einer zerbrechlichen Nation gezeichnet, die 2015 mit den Anschlägen ein Trauma erlebte. 

Das Ganze ist ein perfektes Kammerspiel mit hervorragenden Schauspielern wie Reda Kateb (Polizist), Mélanie Thierry (junge Chirurgin), Carole Bouquet (Supervisorin) und Frédéric Pierrot (Dr. Dayan). Es entkommt dem Voyeurismus und bringt Themen wie Gewalt, Rassismus, Diskriminierung und sexuellen Missbrauch an den Tag. 

Freud Im Land von Jacques Lacan ist das Interesse an Psychoanalyse groß. Der französische Psychiater (1901-1981) hat die Schriften von Sigmund Freud neu interpretiert. Laut einer im Januar 2020 veröffentlichten Umfrage der Fachzeitschrift »Psychologies« hat sich in Frankreich bereits jeder dritte Bürger einer Therapie unterzogen.

Für Pascale Breugnot, die in den 80er-Jahren mit »Psy Show« eine der ersten Therapie-Sendungen lanciert hat, liegt der Erfolg auch in der jetzigen Krise begründet. Corona ersticke uns, erklärte sie der Zeitung »Le Parisien«. Diese Serie, dieser Dialog mit zwei oder drei Charakteren in jeder Episode, sei ein bisschen so, als würde man nach einem Ausweg suchen, den man allein nicht finden könne.

Zahl der Woche

2 Jahre

Fun Facts und Wissenswertes

 03.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  03.12.2025 Aktualisiert

Medien

»Antisemitische Narrative«: Vereine üben scharfe Kritik an Preis für Sophie von der Tann

Die Tel-Aviv-Korrespondentin der ARD soll mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt werden

 03.12.2025

Chemnitz

Sachsen feiert »Jahr der jüdischen Kultur«

Ein ganzes Jahr lang soll in Sachsen jüdische Geschichte und Kultur präsentiert werden. Eigens für die Eröffnung des Themenjahres wurde im Erzgebirge ein Chanukka-Leuchter gefertigt

 03.12.2025

TV-Tipp

»Fargo«: Spannend-komischer Thriller-Klassiker der Coen-Brüder

Joel und Ethan Coen erhielten 1997 den Oscar für das beste Originaldrehbuch

von Jan Lehr  03.12.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 4. Dezember bis zum 10. Dezember

 03.12.2025

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  02.12.2025

Streaming

Gepflegter Eskapismus

In der Serie »Call my Agent Berlin« nimmt sich die Filmbranche selbst auf die Schippe – mit prominenter Besetzung

von Katrin Richter  02.12.2025

Jean Radvanyi

»Anna Seghers war für mich ›Tschibi‹«

Ein Gespräch mit dem Historiker über die Liebesbriefe seiner Großeltern, Kosenamen und hochaktuelle Texte

von Katrin Richter  02.12.2025