Comic

Ein Fall für die Fackel

Asaf Hanuka meistert den Tel Aviver Alltag als Superheld

von Tobias Prüwer  12.10.2015 18:20 Uhr

Foto: Cross Cult

Asaf Hanuka meistert den Tel Aviver Alltag als Superheld

von Tobias Prüwer  12.10.2015 18:20 Uhr

Autsch!» Sich duckend springt der glatzköpfige Brillenträger unter einem Pfeilhagel hinweg. Zwei treffen ihn doch, lassen den Gejagten straucheln. Schon stürzen sich schwarz vermummte und schwertbewehrte Ninjatypen auf ihn, der sich mit bloßer Faust behaupten muss. Was ihm schließlich gelingt – der Zeichner hat alle Deadlines eingehalten, und im Schlussbild darf er als Prämie mit seinem Sohn spielen. Willkommen in der Welt von Asaf Hanuka!

Internetinhalt auszudrucken ist gewöhnlich keine so gute Idee. Im Fall von Der Realist lohnt die Ausnahme. Denn die ins Absurde reichenden Comics, mit denen Hanuka wöchentlich in seinem Blog sein Leben als Künstler, Ehemann und Vater in Tel Aviv schildert, haben den Abdruck in einem Album wirklich verdient. Denn noch aus der kleinsten Alltagsbetrachtung zieht er großen Witz.

illustrator Asaf Hanuka, Jahrgang 1974, arbeitet als Illustrator für diverse Magazine und hat einige Comicbücher veröffentlicht. Pizzeria Kamikaze (zusammen mit Etgar Keret) wurde 2007 für die Eisner Awards nominiert, und er steuerte Illustrationen für die oscarnominierte Animations-Doku Waltz with Bashir bei.

In seinen als Der Realist veröffentlichten Comics vermischen sich Alltag und Politik, Arbeitswelten und Freizeitspäße, und natürlich geht es auch um den ewigen Unterschied zwischen dem hedonistischen Tel Aviv und dem heiligen Jerusalem. In seine Bilder schleichen sich oft surreale Spuren. Anspielungen auf die Pop- und Comic-Kultur – regelmäßig taucht die Rakete aus Tim und Struppi auf – machen es zu einem eigensinnigen Werk, wenn Hanukas Alter Ego in Gestalt von Superhelden auftritt.

Dieses Stilmittel erklärt er in einem beigefügten Interview autobiografisch: «Comics waren für mich immer der Schlüssel, meine eigene Identität zu verstehen. Ich bin in Israel in den 70ern aufgewachsen. Die Familie meiner Mutter immigrierte vom Irak nach Israel, und sie sprachen immer Arabisch zu Hause, aber nie mit uns Kindern. Meine Mutter schämte sich für ihre Wurzeln.» Da fand er in den Superheldencomics, die er als Junge verschlang, sein Identifikationspotenzial. «Ich hatte ähnliche Identitätsfragen bezüglich meiner Herkunft: Ich lebte in Israel, hatte aber einen arabischen Hintergrund. Ich bin Jude, aber glaube nicht an Gott. Superhelden haben immer eine geheime Identität, das ist es, was den Zauber ausmacht.»

rollen Die Superheldengestalten wirken wie die Aggregatzustände seiner inneren Verfassung und spiegeln sein Gemüt nach außen, etwa wenn der Familienvater eine Wohnung auf dem überhitzten Mietmarkt finden will. Hanuka zeichnet sich zum Beispiel in wechselnden Rollen der Fantastischen Vier, wenn er als «Menschliche Fackel» für seinen Sohn brennt, ihn stoisch als «Ding» duscht, von ihm als «Unsichtbarer» einfach ignoriert wird, wenn Mama kommt, und dessen Schlaf er schließlich allumsorgend als der dehnbare «Mr. Fantastic» behütet. Schließlich erscheint Hanuka auch mal selbstironisch als «Bäuerchen-Man».

Neben seiner Rolle als Vater – auch die Geburt seiner Tochter erlebt der Leser mit – und Geliebter thematisiert Hanuka immer wieder die Mühen, sich als freiberuflicher Zeichner durchzuschlagen, das Leben im teuren Tel Aviv und die israelische Gesellschaft. Dazu setzt er auch Überblendungen mit politischem Geschehen und der Zeitgeschichte ein. Steve-Jobs-mäßig präsentiert er auf einem Bild den neuen iSa, den sein Vater nur kommentiert mit: «Ich sehe auch in dieser Version keine Altersvorsorge.»

Anhaltende Rekorde der steigenden Lebenshaltungskosten werden mit Posen siegender Leistungssportler illustriert. Die Scheiben der Hitromemut-Skulptur auf dem Habima-Platz verfolgen ihn die Straßen entlangrollend wie im Computerspiel Pac-Man. Traurige Solidarität zeigt er mit dem damals noch von der Hamas entführten Soldaten Gilad Schalit: Während Hanuka seinen Sohn bettet, dringt spärliches Licht aus einem Kerkerfenster. Atomare Bedrohung und Irans Säbelrasseln parallelisieren mit Bildern beim Barbier, mit dem er über diese reine «Angstmacherei» plaudert, und Zeichnungen seines Sohnes, der an Halloween als Vampir eine Prinzessin jagt.

präzision Hanuka gestaltet seine Strips mit schicken Zeichnungen. In den Outlines fallen sie skizzenhaft aus, aber sie sind mit der Präzision eines Architekten trotz flotter Linie sehr genau. Pointiert und ohne Übertreibung bestechen sie als warme Form der Abstraktion, die menschlich bleibt. Farblich sind die Bilder ein bisschen zu plakativ, Schattierungen gibt es kaum. Das muss man mögen, schadet aber den Geschichtchen nicht. Viele visuelle Spielereien machen den Malus wieder wett, etwa ein Bild durch eine von Babybrei besudelte Brille, während die Eltern fragen: «Was ist so falsch an Bequemlichkeit?»

Momente des Hingeworfenen, wie man sich eben oft genug in seinen Alltag hineingeworfen fühlt, versammelt Hanuka und verstrickt den Leser so mit lässiger Hand in seine Geschichten. Die ironischen Kommentare über sich selbst, das Leben, das Universum und den ganzen Rest behaupten in ihrer Subjektivität keine Allgemeingültigkeit. Und doch entwickeln die Comics so etwas wie eine Überzeugungskraft des Anekdotischen. So meint man, auch ein größeres Bild der israelischen Gesellschaft aus den Mosaiksteinchen der einzelnen Strips zu gewinnen.

Asaf Hanuka: «Der Realist». Graphic Novel. Cross Cult, Ludwigsburg 2015, 192 S., 29,95 €

Lesen Sie auch unsere Redezeit mit Asaf Hanuka:
www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/26066

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