Krimi

Drei Frauen, ein Mord

Einsamkeit, Sehnsucht, Grausamkeit: Dror Mishani leuchtet in seinen Büchern die Ränder der israelischen Gesellschaft aus. Foto: imago images/Future Image

Zum Bestsellerautor avanciert ist Dror Mishani in Israel mit seinem eigenwilligen Ermittler Avi Avraham. Stets dicht am Mann, folgt er jeder noch so skurrilen Volte seiner Ermittlungen hinter die Botox-Fassade der israelischen Gesellschaft im Belagerungszustand. Vermisst, Die Möglichkeit eines Verbrechens und Die schwere Hand – bereits die Titel seiner drei Romane um den Sonderling Avraham, der wie sein Autor zu den Misrachim gehört, verweisen auf den Nährboden des Bösen hinter den erstarrten Bürgerfassaden. Nun hat sich der 1975 in einer Vorstadt von Tel Aviv geborene Literaturdozent von seinem Dauerermittler abgewandt und ein Meisterwerk vorgelegt. Es heißt schlicht Drei.

Dror Mishani fing erst mit 32 Jahren an zu schreiben. Sein Großvater war aus Syrien eingewandert, der Sohn eines Rechtsanwalts gehörte zu den Misrachim, der von den aus Europa stammenden Juden diskriminierten Minderheit. Und Holon, die graue Vorstadt südlich von Tel Aviv, in der Mishani geboren wurde, galt auch nicht als hip. Mishani studierte Literaturwissenschaft, arbeitete als Übersetzer und Literaturdozent, ehe er zu schreiben begann.

TATORT »Es ist gerade einmal zwölf Jahre her, dass ich mein erstes Buch schrieb«, sagt Mishani im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. »Es war eine Sammlung von Essays über das Bild der orientalischen Einwanderer in der israelischen Literatur.« Die Misrachim galten in diesem Bild allenfalls als orientalische Folkloregruppe, und der Geburtsort von Mishani kam in dieser Geschichtsschreibung gar nicht vor, nicht einmal als Tatort. Das war für Mishani auch ein Motiv zu schreiben.

Dieser Roman, der ohneden Ermittler Avi Avraham auskommt, ist Mishanis Meisterwerk.

Heute hat sich der Literaturprofessor an der Universität Tel Aviv auf die Geschichte der Kriminalliteratur spezialisiert. Gleichzeitig lotet Mishani die zionistische Leitlinie aus, nach der israelische Schriftsteller dem Staat zu dienen haben oder, wie es auf Hebräisch heißt, »für das Haus zu sorgen«. Das hat sich inzwischen geändert. Nach den historischen Romanen von Meir Shalev aus dem Inneren des israelischen Narrativs, nach den Introspektionen von Amos Oz und David Grossman, nach der literarischen Rebellion von Sami Michael und den pittoresken sefardischen Hochzeiten von Dorit Rabinyan hat sich Israel zu einer ganz normalen kapitalistischen Gesellschaft entwickelt, in der weder Straßenkinder (David Grossman: Zickzackkind) noch Todesnachrichten vom Militär (ders.: Eine Frau flieht vor einer Nachricht) etwas Besonderes sind.

KIBBUZ Henning Mankell habe ihm sehr imponiert, sagt Dror Mishani. Wie dem Schweden gehe es ihm darum, die Ränder der Gesellschaft auszuleuchten, die viele lieber nicht sehen wollen. Das sei genau das, was gute Krimis ausmache, meint Mishani. »Die Schauplätze der klassischen israelischen Romane waren bisher meist Jerusalem, als Stätte unserer Vergangenheit, oder – stellvertretend für Zukunft und Gegenwart – Tel Aviv, dazu wichtige Orte der israelischen Geschichte wie der Kibbuz oder der Militärstützpunkt.«

Eine Stadt wie Holon kam in der hebräischen Literatur nicht vor. Der Ort galt nicht als wichtig. Für Mishani aber war er wichtig. Nicht, weil er dort aufgewachsen ist, sondern weil ihn die Menschen von Holon genauso faszinierten wie die der Einwohner von Jerusalem und Tel Aviv.

Diesem Seiteneinstieg in den nationalen Kanon seines Landes entspross Mishanis verdrießlicher Kommissar Avi Avraham, der eher dem depressiven Münchner Ermittler Tabor Süden von Friedrich Ani ähnelt als einem selbstbewussten Hercule Poirot. Auch das – so der schreibende Literaturtheoretiker Mishani – sei ein Ergebnis seines Versuchs, den westlichen Tatmenschen mit dem jüdischen Zauderer zu verschmelzen.

NAHAUFNAHMEN Drei Tel-Aviv-Krimis schrieb Mishani in den letzten zwölf Jahren, bis sich der stille Analytiker zu einem Experiment entschloss. Drei heißt nun also sein neuer, gänzlich anders geratener Roman. Im Vordergrund: drei Frauen.

Orna – eine der drei Frauen – ist von ihrem Mann verlassen worden, mit Eran, ihrem Sohn, fühlt sie sich einsam. Sie stöbert durch Mitteilungen und Profile von Dating-Portalen für Geschiedene und begegnet dort Gil. »Sein Profil war einigermaßen nichtssagend und gerade deshalb hatte sie ihn angeschrieben«, heißt es im Roman.

»Ich habe mir vorgestellt, wie der Anfang des Romans gelesen wird«, sagt Mishani über sein Buch. »Eine Beziehung scheint sich anzubahnen. Man weiß nicht, wie sich die Geschichte von Orna und Gil entwickeln wird. Und dann geschieht etwas, und der Charakter des Romans ändert sich radikal. Aus der Romanze wird etwas ganz anderes, und die zweite Geschichte beginnt.«

Im zweiten Teil begegnen wir Emilia, der Altenpflegerin von Nachum, dem Großvater der Familie. »Vier Tage zuvor war er mitten in der Nacht aufgewacht und hatte keine Luft mehr gekriegt. Ein Rettungswagen hatte ihn ins Krankenhaus gebracht, und von dem Moment an wurde Emilia nicht mehr gebraucht.« Leise, wie nebenbei, wird Emilia erwähnt. Sie hält sich illegal im Land auf. Ihre Fürsorge benötigt die israelische Familie nach dem Tod des Großvaters nicht mehr. »Seine Kinder kamen ins Krankenhaus und saßen vor dem Zimmer, in dem er lag, und Emilia entnahm ihrem Gesichtsausdruck und einigen Worten, die sie auf Hebräisch miteinander wechselten, dass er sterben würde.«

Es sind diese präzisen Nahaufnahmen, die den Roman so reich machen und die Unterströmung von Verbitterung und Gewalt enthüllen, die der israelischen Gesellschaft in ständiger Anspannung zur zweiten Natur geworden ist. Denn das, was Emilia geschieht, kann ihr nur geschehen, weil sie in der Gesellschaft zwar benötigt, aber als Unperson ausgeblendet wird.

Orna und Emilia empfänden sich auf verschiedene Weise als Unperson, so Dror Mishani. »Die Einsame und die Altenpflegerin sind unsichtbar, in der israelischen Gesellschaft hinterlassen sie keine Spur, Und niemand erinnert sich an sie.«

KAMPFANSAGE Von Ella, der dritten Frau, sei hier nichts verraten, um den Ausgang der Geschichte nicht vorwegzunehmen. Denn die Spannung entsteht, weil man beim Lesen wissen will, was die drei Frauen und diesen Mann verbindet, und weil man sich angesichts der plastischen Schilderung der Charaktere empört, wie mit ihnen umgegangen wird.

Drei ist ein Roman wie eine Kampfansage an die Normalisierung von Gewalt. Und ein großes Meisterwerk, das auf leisen Pfoten mehr Einsicht evoziert als mancher Leitartikel.

Dror Mishani: »Drei«. Deutsch von Markus Lemke. Diogenes, Zürich 2019, 336 S., 24 €

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