Vampire

Dracula lebt

Heute vor genau 125 Jahren erschien der legendäre Roman von Bram Stoker. Eine jüdische Betrachtung

von Helmut Kuhn  26.05.2022 11:47 Uhr

Ikonischer Klassiker: Bela Lugosi als Graf Dracula in Tod Brownings Verfilmung (1931) Foto: imago images / Hollywood Photo Archive

Heute vor genau 125 Jahren erschien der legendäre Roman von Bram Stoker. Eine jüdische Betrachtung

von Helmut Kuhn  26.05.2022 11:47 Uhr

Am 26. Mai ist Welt-Dracula-Tag. Man kann ihn vielfältig begehen. Mit einem Buch aus Stephenie Meyers Bestseller-Reihe Bis(s) … zum Abendrot? Oder mit einem schlaflosen Doppelpack: Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens aus dem Jahr 1922, gefolgt von Werner Herzogs kongenialer Adaption mit Klaus Kinski? Oder doch lieber das Original?

Vor 125 Jahren, am 26. Mai 1897, erschien der Horrorroman Dracula des irischen Autors Bram Stoker. Das blutsaugende Fledertier in unsterblicher Menschengestalt erblickte das Licht der Welt. Der Schriftsteller schuf damit einen Mythos, der seinen Zenit noch lange nicht erreicht hat. Francis Ford Coppola hat den Stoff aufgegriffen (Bram Stoker’s Dracula), Brad Pitt spielte den Untoten in Interview mit einem Vampir, und täglich flimmert noch immer die Serie Buffy – Im Bann der Dämonen ins Wohnzimmer.

SCHATTENDASEIN Es gibt Hunderte, Tausende Filme, Bücher, Comics, Mangas, Songs. Auf keinem Kostümfest und Halloween darf Graf Dracula fehlen. Ohne ihn wäre Batman undenkbar. »0-Rhesus Negativ, ausgerechnet diese Blutgruppe vertrag’ ich nicht«, nuschelte Udo Lindenberg.

Das jüngste von Stoker inspirierte Genre der »Vampire Romance« feiert einen beispiellosen Siegeszug. »Liebesromane mit Vampiren führen längst kein Schattendasein mehr«, befindet das Forum büchertreff.de – und listet allein 151 Leser-Tipps von Ein Vampir zum Vernaschen über Gebieterin der Dunkelheit bis Vampir allein zu Haus.

Prägten antisemitische Klischees Draculas Aussehen und Charakter?

Die Website alovesotrue.com preist die »Fakten« der neuen Lesekultur: »Jeder Kuss ist frei von Knoblauchgeruch und Halsknabbern eine Vorspiel-Garantie. Jahrhundertealte, ewig junge Herzensbrecher mit einer Aversion gegen Tageslicht wissen, wie man einen Abend unvergesslich gestaltet. Würden Sie ein solches Date ausschlagen?«

Auf bookriot.com schwärmt die Autorin Silvana Reyes Lopez: »Liebe beißt. Jeder Autor findet seinen Dreh zu Geschichten, die für immer bleiben« und empfiehlt den in den USA rasant wachsenden »Indie«-Markt. Werke unbekannter Autoren in unabhängigen Verlagen oder als E-Book, das gerade einmal 2,99 Dollar oder 99 Cents kostet, spielen ungeahnte Summen ein. »Ich hoffe auf weiteres Wachstum der gefährlichen Vampire, die ihr glückliches Laben danach finden.« Aber wer ist dieser unwiderstehliche Ur-Darling eigentlich?

VLAD DER PFÄHLER Als Stokers Vorbild galt lange ein wenig romantischer Adliger der rumänischen Walachei. »Vlad der Pfähler« (1431–1476) ging in die Geschichte ein als Herrscher, der seine Feinde zu Zigtausenden lebendig auf Pfähle spießen und grausam verenden ließ. Neuere Forschung aber vermutet, der Ire Bram Stoker habe womöglich andere Vorbilder im Sinne gehabt.

Die Wissenschaftlerin Sara Libby Robinson von der amerikanischen Brandeis University veröffentlichte 2011 die Studie Blood Will Tell: Vampires as Political Metaphors Before World War I. Darin stellt sie fest, Draculas Gesichtszüge seien »stereotypisch jüdisch … seine Nase ist krumm, er hat buschige Augenbrauen, spitze Ohren und krallenartige, hässliche Finger«. Er sei »stark bemüht …, sich dem Rest der Bevölkerung anzupassen«, seine Andersartigkeit lebe er heimlich nachts aus. Das entspreche in dieser Zeit gängigen Vorurteilen gegenüber Juden.

Es sei auch kein Zufall, dass sich die Erscheinung des Buches mit der ostjüdischen Einwanderungswelle nach England Ende des 19. Jahrhunderts überschnitt. Als zentrales antisemitisches Motiv sieht Libby die Metapher des Blutsaugens – für die Forscherin ein Hinweis auf die Ritualmord­legende des Mittelalters.

DEBATTE In einer Szene gegen Ende des Buches sieht sie ein zweites, moderneres Motiv, jenes Klischee des geldgierigen jüdischen Kapitalisten und »Blutsaugers«: »Die Spitze schnitt durch den Stoff von Draculas Mantel. Ein Bündel Banknoten und Goldmünzen fiel heraus. (…) Im nächsten Moment hechtete Dracula unter Harkers Arm hinweg, raffte eine Handvoll des Geldes vom Boden und rannte durch den Raum.«

Die Ausstellung Anti-Semitic Characters in Irish Writing (2017) in New York wiederum ließ anklingen, Stokers Figur gehe auf den 1820 erschienenen Schauerroman Melmoth the Wanderer des irischen Schriftstellers Charles Robert Maturin zurück. Darin schließt der Protagonist einen Faust’schen Pakt mit dem Teufel für 150 Jahre Leben. Und die Figur sei klar als das biblische Motiv des »wandernden Juden, der Jesus bis zur Kreuzigung verfolgte«, erkennbar.

Barbara Belford hingegen vermutete in ihrem 1996 erschienenen Buch Bram Stoker, der Roman basiere auf der Figur »Trilby« des gleichnamigen Romans des englischen Autors George du Maurier (1894) über einen Juden, der heiratsfähige Mädchen verführt.

Im Film trägt der Vampir einen übergroßen Davidstern um den Hals.

Auch die zahlreichen Ableger des dunklen Don Juan weisen mitunter antisemitische Züge auf. So trägt der ungarische Schauspieler Bela Lugosi in dem Hollywood-Klassiker Dracula (1931) zu Beginn des Filmes einen übergroßen Davidstern um den Hals – der im weiteren Verlauf nicht mehr auftaucht. »Jetzt könnte man meinen, der Davidstern wurde auch von Okkultisten oder Magiern verwendet, aber das spielt hier keine Rolle. Dracula brauchte kein extrastarkes Objekt in diesem Film«, wunderte sich Israel Drazin in der »Times of Israel« 2017. Der Stern sei eine unnötige Ergänzung der Filmemacher gewesen.

sichelzahn-opa Dessen ungerührt zeigte die Tel Aviv Cinematheque am 16. Mai zu Ehren des Sichelzahn-Opas in einer Auswahl prominenter wie schräger Filme auch den »ikonischen« Klassiker mit Bela Lugosi: »Die Kombination aus ewigem Leben und Erotik hat den Vampir zum beliebtesten Monster weltweit gemacht«, führten die Veranstalter an.

Zum Abschluss wollte Regisseur Alon Gur Arye bei einem »einmaligen Blut-Trink-Meeting« augenzwinkernd Vampir­filme präsentieren, »die sich selbst zu ernst nehmen« – offenbar eine perfekte Einstimmung auf den Welt-Dracula-Tag.

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