Chaim Tabakman, Ihr Spielfilm »Eyes wide Open« läuft diese Woche in Deutschland unter dem Titel »Du sollst nicht lieben« in den Kinos an. Erzählt wird eine Liebesgeschichte zwischen zwei ultraorthodoxen Männern. Ist das nicht ein sehr heißes Eisen in Israel?
Die israelische Filmlandschaft ist heute sehr viel breiter als früher. Es gibt eine Menge Filme über Gruppierungen wie die Orthodoxie, aber auch über die schwule Szene. Ich habe beides verbunden, aber nicht weil ich einen schwulen Emanzipationsfilm machen oder die ultraorthodoxe Gemeinschaft de-nunzieren wollte. Das wäre mir zu platt gewesen. Ich war eher ein bisschen von Jean Renoirs Film »La Règle du Jeu« inspiriert. Alle haben irgendwie recht aus ihrer Sicht. Ich hoffe, es ist mir gelungen, diese Vielschichtigkeit zu entfalten.
Wie würden Sie Ihre zwei Hauptfiguren, Aaron und Esri, charakterisieren?
Esri ist ein Rebell. Er handelt impulsiv, ohne über die Konsequenzen nachzudenken, er ist trotzig und wütend und leidenschaftlich. Esri verkörpert den Teil, den Aaron, der Ältere der beiden, in sich unterdrückt hat. Aarons Dilemma ist, dass er sich der Pflichterfüllung verschrieben und getan hat, was der Vater, die Familie, die Gemeinschaft von ihm erwarten. Damit hat er seine eigene Lebendigkeit abgeschnitten. Als er das erkennt, will er sich nicht länger verleugnen. Das bringt ihn in Konflikt mit seinem sozialen Umfeld, das er aber nicht einfach verlassen kann, ohne daran kaputtzugehen. Aaron ist nicht zufällig Metzger, er glaubt, seine Fleischeslust von sich abschneiden zu können. In der Beherrschung seines Triebes will er seine Stärke erfahren. Er sieht sich als Erwählten, fast wie einen Cohen, dessen heterosexuellem Begehren ja auch größere Beschränkungen von der Tradition auferlegt sind. Das Revolutionäre dabei ist, dass Aaron eine homosexuelle Identität für sich in Anspruch nimmt, wo die Orthodoxie nur die »Sünde«, die Normabweichung sieht.
Es gelingt Aaron aber weder, diesen hohen Anspruch des Verzichts auf sexuelle Erfüllung mit Esri einzulösen, noch seiner Frau Rivka gegenüber zu bekennen, dass er diesen Mann liebt. Da ist er einfach nur schwach geworden, und der Jezer Harar, der böse Trieb, hat triumphiert ...
Das stimmt. Aber vielleicht will er Rivka nicht noch mehr verletzen als ohnehin schon. Er liebt sie ja auch auf seine Weise, und sie hat die Größe, zu ihm zu stehen und ihm die Wahl zu lassen – mit ihr zu leben oder mit Esri.
Eine andere Figur ist ein Rabbiner, der Aaron bis zuletzt schützt, weil er mit dessen Vater befreundet war. Eigentlich predigt dieser Rabbi ein sehr menschliches Judentum. Das Leben, sagt er, sei ein Geschenk Gottes, das genossen werden soll.
Die Orthodoxie ist ja nicht prinzipiell gegen Lebensfreude. Aber sexueller Genuss ist nur innerhalb ihrer tradierten Grenzen akzeptabel. Ich habe viel Respekt vor diesen Leuten, sie haben Gründe für ihre Lebensweise, die viel Geborgenheit vermittelt.
Aber auch ein hohes Maß an sozialem Druck. In einer Szene wird ein Habenichts mit Mobbingmethoden gewungen, auf die Frau, die er liebt, zu verzichten, weil deren Vater eine bessere Partie für seine Tochter ausgesucht hat.
Und Aaron ist, wenn auch nicht ganz freiwillig, dabei mit von der Partie, als der Mann eingeschüchtert wird. Mir war in dieser Szene wichtig, zu zeigen, dass Aaron nicht nur Opfer ist, sondern auch Täter.
Zum Schluss bleibt Aarons Schicksal ungewiss. Die Zuschauer können nur Vermutungen anstellen, etwa, ob er im Suizid enden wird.
Ich wollte keinen Suizid andeuten. Eher eine Stimmung, eine Leere, die dafür steht, dass es keine befriedigende Lösung gibt. Zwei gute Prinzipien, das der Gemeinschaft und das der Liebe, schließen sich in Aarons Leben aus. In Sandi Simcha DuBowskis Dokumentarfilm »Trembling before God«, von 2001, der dasselbe Thema behandelt – Schwule innerhalb der Orthodoxie und Ultraorthodoxie –, führen die Männer entweder ein Doppelleben, was Aaron zu verlogen wäre, oder sie steigen aus, wie Esri es wohl tun wird. Aber Aaron verlöre in diesem Fall alles – seine Familie, seine berufliche Existenz und die Gemeinschaft.
»Du sollst nicht lieben« ist Ihre erste große Produktion. Wie haben Sie sie finanziert? War es schwer, dafür Geld zu bekommen?
Leicht war es natürlich nicht, ist es ja nie. Aber die Geschichte einer Liebe zwischen zwei orthodoxen Männern war schon ein zugkräftiger Aufhänger oder Köder. Angefangen habe ich mit finanzieller Unterstützung von Freunden, schließlich ist es gelungen, ARTE, das kleine Fernsehspiel des ZDF, und den Israeli Film Fund mit an Bord zu bringen.
In Israel und Frankreich ist der Film bereits in den Kinos gelaufen. Wie war die Resonanz?
In Frankreich durchweg sehr positiv. In Israel verhaltener, aber das lag vor allem daran, dass er als Actionfilm, also sehr reißerisch, beworben wurde. Da waren viele enttäuscht, dass er so ganz anders, so ruhig und langsam ist.
Kennen Sie Menschen aus dem ultraorthodoxen Milieu? Wie haben die reagiert?
Ich kenne nur einige, aber die haben mir fast alle gesagt, dass sie sich im Film von mir respektiert fühlten. Einer allerdings hat mir, als ich ihm erzählte, worum es geht, die Freundschaft aufgekündigt.
Das Gespräch führte Jessica Jacoby.