Stefan Zweig

»Dieses Schweigen, ich höre es«

Stefan Zweig und seine Frau Charlotte Altmann (Foto von 1938) Foto: picture alliance / akg-images

Was für ein Buch! Dabei hat die Publikation in der legendären Insel-Bücherei einen durchaus knappen Umfang und versammelt autobiografische Kurzprosa und Aufrufe, die Stefan Zweig in seinen letzten zwei Lebensjahren geschrieben hatte, ehe er 1942 im brasilianischen Exil gemeinsam mit seiner Frau in den Freitod ging.

Die Texte, die weit zurück führen in seine Gymnasialzeit, in die beinahe sorgenfreien Jahre in Salzburg und in die Wirren der Inflation um 1923, sind jedoch mehr als lediglich ein Appendix zu Zweigs großem (und ebenfalls posthum erschienenem) Erinnerungsbuch Die Welt von Gestern. Denn hier, in diesen bislang in Buchform unpublizierten Prosa-Medaillons, ist gleichsam pars pro toto noch einmal der ganze Stefan Zweig sichtbar in der Empathie und Präzision des Ausdrucks, in der gelungenen Verbindung von atmosphärischer Beschreibung und nuancierter Reflexion.

MITGEFÜHL Dass er einst einem isolierten Mitschüler kein Wort des Zuspruchs gegeben hatte, ist für ihn noch viele Jahrzehnte später peinigend präsent: »Dass man niemals zögern sollte, dem ersten Impuls der Hilfeleistung zu folgen, denn ein Wort oder eine Tat aus Mitgefühl hat nur wirklichen Wert im Augenblick der höchsten Not.«

Wobei, wie stets bei Stefan Zweig, Ethisches und Ästhetisches in eins gehen: So erinnert ein Text daran, wie einst ein Besuch bei Auguste Rodin ihn die Verantwortung des Künstlers für sein Werk lehrte, während ein anderer – ein Nachruf auf den bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen kubanischen Schriftstellerkollegen Alfonso Hernández Catá – ein Loblied singt auf die kreative Freundschaft zwischen Solitären.

Die Nicht-Gewöhnung an das gerade Dominierende, das Anzweifeln und Nachfragen rückt dann auch jene Texte ganz nahe, die Zweig nach Ausbruch des Krieges geschrieben hat. Wie er die Alltagsroutine im Schrecken beschreibt, die selbst in London nachlassenden Schocks angesichts der Vielzahl zerstörter britischer U-Boote, könnte durchaus ein Text aus unseren Tagen sein.

KRIEG Weit entfernt, die mentalen Überlebensstrategien der britischen Zivilisten zu denunzieren, insistiert er auf einem »Dennoch und Trotzdem«, auf der Notwendigkeit nicht nachlassender Wachsamkeit und Wehrbereitschaft. Und ebenso weit davon entfernt, wie so manch gegenwärtige deutsche Intellektuelle generalisierend gleichmacherisch über »den Krieg« zu barmen, nennt er immer wieder Ross und Reiter, erinnert an die Vorgeschichte von 1933 und an die verbrannten Bücher, ehe dann Panzer und Flugzeuge zum Einsatz kamen.

Das Schlimmste für ihn, der um die Fragilität der Zivilisation wusste, aber war das Schweigen und Abwiegeln all der anderen, die noch nicht von Hitlers Armee überfallen worden waren. Stefan Zweig erinnert an einen Freund in Wien, der nun im KZ ist, an SS- und Wehrmachtstiefel über dem Straßenpflaster von Krakau und Prag.

Und schreibt, nun selbst am Ende seiner Kräfte, da er doch seit Langem seinen verfolgten Kollegen in lebensrettenden Visa-Angelegenheiten und Gelddingen Beistand geleistet hat, mit noch heute fühlbar verlöschender Vehemenz: »Dieses Schweigen, ich höre es bei Nacht, ich höre es bei Tag.« Gedruckt wurde dieser Warntext in Leopold Schwarzschilds Pariser Exilzeitschrift »Das Neue Tagebuch« am 4. Mai 1940. Sechs Tage später marschierte die Wehrmacht in Frankreich ein. Lesen wir dieses schmale und eindringliche Buch als Menetekel.

Stefan Zweig: »Die Kunst, ohne Sorgen zu leben«. Insel, Berlin 2023, 79 S., 14 €

Israel

Pe’er Tasi führt die Song-Jahrescharts an

Zum Jahresende wurde die Liste der meistgespielten Songs 2025 veröffentlicht. Eyal Golan ist wieder der meistgespielte Interpret

 23.12.2025

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025