Frankfurt

Die vermeintlich Guten

Bildungsreferent Tom Uhlig von der Bildungsstätte Anne Frank führt durch die Ausstellung. Foto: Felix Schmitt/Bildungsstätte Anne Frank

Der Wandel begann 1968. Die westdeutsche Linke, zuvor noch solidarisch mit Israel, wandte sich nach dem Sechstagekrieg gegen den jüdischen Staat. Fortan galt er als »Aggressor« und »Besatzungsmacht«. Auch in die kapitalismuskritischen Proteste der Achtundsechziger und ihrer Nachfolger, die jede Form des Judenhasses für sich nicht gelten lassen wollten, mischten sich judenfeindliche Untertöne.

»Linker Antisemitismus ist die Form von Antisemitismus, die am wenigsten thematisiert wird«, sagt Meron Mendel, Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank. In einer Ausstellung, die jüngst eröffnet wurde, spürt die Bildungsstätte den vielfältigen Erscheinungsformen des Antisemitismus in der radikalen westdeutschen Linken seit 1968 nach.

Ignatz Bubis sagte, er lasse sich als Kapitalist kritisieren, aber nicht als jüdischer Kapitalist.

Mendel sieht die als Wanderausstellung angelegte Schau und ihr Begleitprogramm als »Einladung zum Gespräch«. Es gehe nicht um Entlarvung, betont er. Als Zielgruppe benennt Kurator Tom Uhlig junge Erwachsene, »die sich linkspolitisch verorten«. Aus einer Grundsympathie für die Linke heraus verfolgt die Ausstellung eine aufklärerische Absicht. Anhand mehrerer Themenblöcke wie »Wohnen«, »Konsum«, »Bühne« oder »Universität« versuchen die Macher, antisemitische Einstellungen in eigentlich »gut gemeinten« linken Positionen aufzuzeigen und zu problematisieren.

HÄUSERKAMPF Frankfurts bewegte Nachkriegsgeschichte liefert dafür einige prominente Beispiele. Eine Schautafel ist dem »Häuserkampf« der 70er-Jahre gewidmet. Aus Protest gegen geplante Büroneubauten besetzten Aktivistengruppen mehrere Gründerzeitvillen im Westend. »Linker Antisemitismus hat in der Tat im Frankfurter Häuserkampf eine Rolle gespielt«, erinnert sich Micha Brumlik in einem Videointerview. Der Publizist und Erziehungswissenschaftler zitiert den in seiner Rolle als Immobilienunternehmer angefeindeten Ignatz Bubis mit den Worten, er, Bubis, lasse sich sehr gern als Kapitalist kritisieren, aber nicht als jüdischer Kapitalist.

»Der reiche Jude« hieß eine Figur in Rainer Werner Fassbinders Theaterstück Der Müll, die Stadt und der Tod, das Mitte der 70er-Jahre entstanden war. Bei der Premiere im Jahr 1985 besetzten Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Frankfurt die Bühne. »Es war ein Affront, eine Kränkung«, sagt Elli Kaminer-Zamberk über die Aufführung des Fassbinder-Stücks. Die Gruppenanalytikerin war damals unter den Bühnenbesetzern. Im Videogespräch ruft sie die Atmosphäre der frühen 80er-Jahre in Erinnerung, etwa Helmut Kohls Ausspruch von der »Gnade der späten Geburt«.

Auch Günter Grass’ Israel-Gedicht von 2012 ist in der Ausstellung noch einmal nachzulesen.

Mit der Fassbinder-Kontroverse illustriert die Ausstellung öffentliche »Tabubrüche«, wie sie etwa auch Martin Walsers Paulskirchenrede von 1998 darstellte. Viel Raum gibt die informative, wenn auch textlastige Schau der jüngsten Geschichte. Es mangelt nicht an Beispielen für politisch motivierten, oft israelbezogenen Antisemitismus. So kommt die Querfront zur Sprache, die sich während des Gaza-Krieges 2014 auf den deutschen Straßen bildete: Linke Aktivisten, Salafisten und Neonazis riefen auf ihren Demonstrationen bisweilen offen judenfeindliche Parolen.

Dem Einfluss der israelfeindlichen BDS-Bewegung auf den Kulturbetrieb ist eine eigene Tafel gewidmet.

Auch Günter Grass’ antiisraelisches, 2012 veröffentlichtes Gedicht »Was gesagt werden muss« ist in der Ausstellung noch einmal nachzulesen, ergänzt um eine Zusammenfassung der darum entbrannten Debatte.

BOYKOTT Angesichts dieser Zusammenstellung judenfeindlicher »Greatest Hits« könnte dem Ausstellungsbesucher mulmig werden. Der »Campus antisemitism« an britischen und amerikanischen Universitäten ist ebenso Thema wie die Israelfeindlichkeit einiger postkolonialer Theoretiker.

Dem Einfluss der BDS-Bewegung auf den Kulturbetrieb ist eine eigene Tafel gewidmet. Ganz aktuell erinnert sie an die Boykottaufrufe der Organisation gegen die Austragung des diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) in Israel. Bebildert ist die Tafel mit einer 2018 in der »Süddeutschen Zeitung« abgedruckten Karikatur von Dieter Hanitzsch. Sie zeigt einen überzeichneten Benjamin Netanjahu in der Kluft der ESC-Siegerin Netta, in der linken Hand eine Rakete schwingend. ESC-Logo und Rakete sind mit einem Davidstern versehen. Mit seiner Karikatur knüpft Hanitzsch an eine Tradition an, die bis weit vor 1968 zurückreicht und an die antisemitische Hetze des »Stürmers« denken lässt.

»Das Gegenteil von Gut. Antisemitismus in der deutschen Linken seit 1968« ist bis 27. September in Frankfurt zu sehen. Infos unter www.bs-anne-frank.de

Computerspiel

Lenny Kravitz wird James-Bond-Bösewicht

Als fieser Schurke will der Musiker im kommenden Jahr dem Agenten 007 das Leben schwer machen – allerdings nicht auf der Kinoleinwand

 12.12.2025

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

Aufgegabelt

Latkes aus Dillgürkchen

Rezepte und Leckeres

 12.12.2025

Kulturkolumne

Lieber Chanukka als Weihnachtsstress?

Warum Juden es auch nicht besser haben – was sich spätestens an Pessach zeigen wird

von Maria Ossowski  12.12.2025

Kommerz

Geld oder Schokolade?

Der Brauch, an den Feiertagen um Münzen zu spielen, hat wenig mit den Makkabäern oder dem traditionellen Chanukkagelt zu tun. Der Ursprung liegt woanders

von Ayala Goldmann  12.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Singend durch Paris oder Warum unser Chanukka-Song der beste ist

von Nicole Dreyfus  12.12.2025

Literatur

Deutsch-Hebräischer Übersetzerpreis für Helene Seidler

Die Schriftstellerin wurde für die Übersetzung des Romans »Unter Freunden stirbt man nicht« von Noa Yedlin ausgezeichnet

 12.12.2025

Zürich

Protest gegen ESC-Teilnahme Israels: Nemo gibt Pokal zurück

Mit der Zulassung Israels verrate der Gesangswettbewerb seine Werte von »Einheit, Inklusion und Würde für aller Menschen«, so Nemo

 12.12.2025

Meinung

Nemo unverbesserlich

Nemo gibt mit Rückgabe der ESC-Siegertrophäe auch Haltung ab. Statt Rückgrat zu zeigen, schwimmt das Schweizer Gesangswunder von 2024 im postkolonialen Strom mit

von Nicole Dreyfus  12.12.2025