»Vertrackte Affären«

Die strammen Beine der Circe

Günter Kunerts Geschichten aus sechs Jahrzehnten überzeugen durch die pure Lust am Fabulieren

von Welf Grombacher  25.07.2016 19:58 Uhr

Foto: Hanser

Günter Kunerts Geschichten aus sechs Jahrzehnten überzeugen durch die pure Lust am Fabulieren

von Welf Grombacher  25.07.2016 19:58 Uhr

Mit Wodka musste sich der junge Günter Kunert in den frühen 50er-Jahren Mut antrinken, als er seine ersten Texte dem großen Bertolt Brecht zusteckte. Als der sie ihm ein paar Tage später zurückgab, stand mit Kugelschreiber an den Rand gekritzelt: »Kürzer, kürzer. Alles Überflüssige muss weg.« Der Band Vertrackte Affären versammelt jetzt die beste Kurzprosa von Günter Kunert aus sechs Jahrzehnten.

Odysseus Es mag auf den ersten Blick anders erscheinen – befolgt hat Kunert den Rat Brechts zum Glück nur bedingt. Spricht doch aus jedem dieser zwischen 1954 und 2010 entstandenen 31 Texte die pure Lust am Fabulieren. Ob es der Junge ist, der sich das Leben nimmt, nachdem die Eltern ihm – um ihn von seinen faschistischen Freunden zu entfremden – erzählt haben, er sei Jude. Oder der alte Odysseus, der am Ende seines Lebens noch einmal die Geliebte Circe besuchen will und auf eine untersetzte Gestalt mit erstaunlich strammen Beinen trifft, die sich nicht einmal mehr an seinen Namen erinnert.

In diesen Geschichten von gestern und morgen erzählt Kunert vom Alltäglichen und vom Ungewöhnlichen – und vom Ungewöhnlichen im Alltäglichen. Günter Kunert ist ein und bleibt eben ein großer Erzähler – vielleicht der am meisten unterschätzte der Nachkriegsliteraur.

Günter Kunert: »Vertrackte Affären«. Geschichten. Hanser, München 2016, 256 S., 21,90 €

Doku

Über eine weitreichende Unwahrheit

»W. – was von der Lüge bleibt« (2020) nähert sich der Lebensgeschichte von Bruno Dösekker alias Wilkomirski, der die Identität eines Schoa-Überlebenden annahm

von Silvia Bahl  16.01.2025 Aktualisiert

Kino

»Wie eine Art Heimkehr«

Schauspielerin Jennifer Grey über den Film »A Real Pain« und Dreharbeiten in Polen

von Patrick Heidmann  16.01.2025

Nachruf

Der Soziologe und das »Gedächtnistheater«

Eine persönliche Erinnerung an Y. Michal Bodemann, der sich unter anderem mit Erinnerungspolitik in Deutschland beschäftigte

von Janine Cunea  16.01.2025

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 18. bis zum 27. Januar

 16.01.2025

Freiburg

Kurde aus Syrien eröffnet israelisches Restaurant

Der Besitzer wird schon länger bedroht. Er lässt sich jedoch nicht abschrecken

von Christian Böhmer  16.01.2025

Malerei

First Ladys der Abstraktion

Das Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden zeigt farbenfrohe Bilder jüdischer Künstlerinnen

von Dorothee Baer-Bogenschütz  15.01.2025

Frankreich

Iris Knobloch bleibt Präsidentin des Filmfestivals Cannes

Sie ist die erste Frau an der Spitze des Festivals

 15.01.2025

London

Autor Neil Gaiman weist Vorwürfe sexueller Übergriffe zurück

Im »New York Magazine« werfen mehrere Frauen dem britischen Fantasy- und Science-Fiction-Autor entsprechende Taten vor. Nun äußert sich der 64-Jährige

 15.01.2025

Literatur

Die Heimatsuchende

Vor 50 Jahren starb Mascha Kaléko. Ihre Dichtung bleibt erschreckend aktuell

von Nicole Dreyfus  15.01.2025