Buch

Die Kunst der Denunziation

Streit um eine Biografie des Galeristen und Mäzens Heinz Berggruen

von Jonathan Pauzner  14.11.2011 18:00 Uhr

Heinz Berggruen vor einen seiner Picassos Foto: imago

Streit um eine Biografie des Galeristen und Mäzens Heinz Berggruen

von Jonathan Pauzner  14.11.2011 18:00 Uhr

Hat der Kunsthändler und Mäzen Heinz Berggruen (1914–2007) die Bundesrepublik und das Land Berlin über den Tisch gezogen, unter Ausnutzung deutscher Schuldgefühle aufgrund der Schoa? Diese These vertritt ein vorige Woche herausgekommenes Buch namens Heinz Berggruen – Leben und Legende. Die Autorin Vivien Stein war bisher ebenso unbekannt wie der erst im Juni dieses Jahres gegründete Verlag »Edition Alpenblick« in Zürich, wo die Biografie als bis dato einziger Titel erschienen ist.
Das Buch wäre unter solchen Umständen wahrscheinlich nicht einmal ignoriert worden, hätte nicht die Süddeutsche Zeitung vergangenen Samstag mit einer ganzseitigen lobenden Besprechung von Stephan Speicher ihr Feuilleton aufgemacht.

»Judenkarte« Heinz Berggruen, 1914 in Berlin-Wilmersdorf geboren, war 1936 vor den Nazis in die USA geflüchtet. Nach dem Krieg ließ er sich in Paris nieder und wurde Kunsthändler. Zu den Malern, die er vertrat, zählten Picasso, Matisse, Chagall und Miró, mit denen Berggruen auch befreundet war. Er selbst baute in dieser Zeit eine Privatsammlung mit Werken dieser und anderer Größen der Moderne auf. 1996 kehrte Heinz Berggruen in seine Geburtsstadt zurück, nahm die deutsche Staatsbürgerschaft wieder an und überließ seine Sammlung für umgerechnet 126 Millionen Euro dem Bund und dem Land Berlin. Die Bilder hängen seitdem im nach ihm benannten Museum Berggruen nahe dem Schloss Charlottenburg.

Laut Wikipedia-Eintrag zu Berggruen lag die Kaufsumme von 126 Millionen weit unter dem Schätzwert der Sammlung von rund 750 Millionen Euro. Vivien Stein dagegen hält den Kaufpreis für völlig überzogen. Zustande gekommen sei er nur, weil der Sammler »die Judenkarte gespielt« habe. Rezensent Speicher sekundiert ihr: Heinz Berggruen habe eine »Schwäche genutzt«, nämlich »das Gefühl der Deutschen für ihre Schuld an den Juden«.

marktwert Das rief Michael Naumann auf den Plan. Der heutige Chefredakteur der Zeitschrift Cicero war im Jahr 2000, als die Sammlung Berggruen erworben wurde, der dafür zuständige Kulturstaatsminister der Regierung Schröder. Nicht die »Judenkarte« habe Berggruen gezogen, schrieb Naumann am Montag dieser Woche im Berliner Tagesspiegel. »Es war die Picasso-Karte.« Und über den Tisch gezogen worden sei man auch nicht, ganz im Gegenteil: Die Sammlung habe heute mutmaßlich einen Marktwert von einer Milliarde Euro.

Naumann wirft Vivien Stein ein »denunziatorisches Werk« vor, in dem »eine auffällig unangenehme Rolle ... der Verweis auf das Judentum des Sammlers« spiele«. Von einem »Stück von bösem Journalismus« spricht im selben Blatt Rüdiger Schaper, der dem Rezensenten Stephan Speicher attestiert, dass »er ekelhafte Vorurteile breitklopft und die alte Story vom halbseidenen, erfolgs- und listenreichen jüdischen Geschäftsmann nacherzählt«.

Imanuels Interpreten (5)

Geddy Lee: Der Rock-Tenor

Der Sohn polnischer Holocaustüberlebender ist einer der prominentesten Musiker Kanadas. Bis 2015 war er Mitglied des Progressive Rock-Trios Rush

von Imanuel Marcus  07.02.2025

Arte

Ein faszinierendes Monster von einem Film

Ein neuer Dokumentarfilm beleuchtet das Leben und Wirken von Schriftstellern während der NS-Zeit, die nicht emigrierten. Deutlich wird auch der enorme Verlust, den die Kultur durch die Nazis erlitten hat

von Lukas Foerster  07.02.2025

Helsinki

Auszeichnung für Felix Klein in Finnland

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung wird für sein Engagement zur Förderung jüdischer Musik und Kultur geehrt

 06.02.2025

Raubkunst

Ministerin Roth rechnet im Streit um Welfenschatz mit rascher Klärung

Es geht um die Frage, ob der 1929 von jüdischen Kunsthändlern erworbene Schatz 1935 unter den Nazis verfolgungsbedingt zwangsweise verkauft wurde

 06.02.2025

Berlin

Dirigent Daniel Barenboim an Parkinson erkrankt

Schon seit einiger Zeit fällt Dirigent und Pianist krankheitsbedingt immer wieder aus. Nun äußert er sich in einem persönlichen Statement dazu

 06.02.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  06.02.2025

Musik

Hommage an Israel

Warum unser Autor den Song »Neigborhood Bully« von Bob Dylan so sehr liebt

von Alan Posener  06.02.2025

Waffenstillstand

Die Wände voller Risse

Über ein Jahr war Eshkol Nevo nicht in seinem Ferienhaus im Norden Israels. Jetzt besucht der Schriftsteller wieder den Kibbuz an der Grenze zum Libanon – und muss erkennen, dass nichts ist wie zuvor

von Eshkol Nevo  06.02.2025

Restitution

Streit um den Welfenschatz geht in die nächste Runde

Wurden die kostbaren Altarschätze unter Zwang verkauft oder nicht? Darüber wird seit 2022 erneut gestritten. Nun gehen die Gespräche weiter

 05.02.2025