Biografie

Die eingebildete Semitin

Typisch jüdische Augenbrauen? Frida Kahlo auf einem Selbstbildnis Foto: Banco de Mexico

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Die eingebildete Semitin

Die Malerin Frida Kahlo war keine Jüdin – warum gab sie sich dafür aus?

von Michael Wuliger  12.07.2010 16:46 Uhr

Warum, haben Leser gefragt, ist in dieser Zeitung die große Frida-Kahlo-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau nicht gewürdigt worden? Wo doch die mexikanische Malerin Jüdin war oder zumindest jüdischer Herkunft.

legende Sie war es nicht. Aber die Legende ist in den Köpfen fest verankert. Als »Halbjüdin« beschreibt Hayden Herrera Kahlo in ihrer Biografie, auf der auch der Film Frida von 2002 mit Salma Hayek basiert. Ein so seriöses Blatt wie die New York Times ordnete die charakteristischen dichten, dunklen, über der Nasenwurzel fast zusammengewachsenen Augenbrauen der Malerin ihrem vermeintlichen jüdischen Erbe zu. Das renommierte Jewish Museum of New York stellte in einer Retrospektive 2003 sogar die angebliche Herkunft der Künstlerin in den Mittelpunkt. Für Kahlo seien die jüdischen Wurzeln »Teil ihrer genealogischen Identität« gewesen, erklärte die Kuratorin der Ausstellung, die renommierte israelische Kunsthistorikerin Gannit Ankori. Diese Identität habe Kahlos Werk ebenso beeinflusst wie ihr lebenslanges politisches Engagement. Für besonders aussagekräftig in diesem Zusammenhang hielt Ankori das Bild Meine Großeltern, meine Eltern und ich, das sie in den Mittelpunkt der Schau gestellt hatte. Das Gemälde zeigt Frida Kahlo als kleines Mädchen im Hof des Hauses im mexikanischen Coyoacàn, wo sie 1907 geboren wurde. Hinter ihr sieht man ihre Eltern Matilde und Guillermo, links und rechts über ihnen die Großeltern: mütterlicherseits Mestizen spanisch-indianischen Ursprungs, väterlicherseits ungarische Juden aus Arad – so jedenfalls die Künstlerin.

mimikry Tatsächlich waren Jakob Heinrich Kahlo und seine Ehefrau Henriette, geborene Kaufmann, gute deutsche Protestanten aus Pforzheim. Das haben 2005 Gaby Franger und Rainer Huhle in ihrem bei Schirmer Mosel erschienenen Buch Fridas Vater – Der Fotograf Wilhelm Kahlo nachgewiesen. Carl Wilhelm Kahlo, der 1891 nach Mexiko auswanderte und seinen Vornamen dort zu Guillermo hispanisierte, hat Zeit seines Lebens nie etwas anderes behauptet.

Warum aber machte seine Tochter ihn dann zum Juden? Der israelische Journalist Meir Ronnen vermutete in einem 2006 in der Jerusalem Post erschienen Artikel politisch-ideologische Gründe. Kahlos Verweise auf ihre angeblich jüdische Herkunft seien in den 30er-Jahren verstärkt aufgetaucht, als die Nazis an der Macht waren. Die überzeugte Kommunistin habe durch die Erfindung jüdischer Großeltern ihre deutsche Herkunft negieren wollen, die, so Ronnen, »ihr peinlich war«. Eine andere, etwas freundlichere Interpretation lautet, die Antifaschistin Kahlo habe ein Zeichen setzen wollte, indem sie sich mit den primären Opfern Hitlers, den Juden eben, identifizierte. Helga Prignitz-Poda, die Kuratorin der aktuellen Berliner Ausstellung, hat eine simplere Erklärung: Es handele sich um ein sprachliches Mißverständnis, meint sie und verweist auf einen in der Schau präsentierten, englisch verfassten Brief Kahlos an Verwandte in Deutschland. Dort schreibt die Malerin, ihr Großvater sei »jeweler« gewesen, also Juwelier. »Daher – oder von einem ähnlichen Gespräch von Frida – resultierte das schlichte und sich lang haltende Missverständnis, er sei ›Jew‹.«

einverleibt Welche dieser Theorien auch immer stimmt: Mindestens ebenso interessant, meint der amerikanische Künstler und Autor Menachem Wecker, ist die Frage, warum der Mythos von der »Halbjüdin« vom breiten Publikum, nicht zuletzt von vielen Juden, so enthusiastisch aufgenommen wurde und sich aller Empirie zum Trotz immer noch in vielen Köpfen hält. Noch 2007, zwei Jahre nach dem Erscheinen des Buchs von Franger und Huhle, erklärte der jüdische Kurator einer großen Kahlo-Ausstellung in Washington Wecker gegenüber: »Ich glaube ohne jeden Zweifel, dass Frida Kahlo eine jüdische Künstlerin war.« Den Grund für seinen Glauben lieferte er gleich mit: »Mit großen Menschen etwas gemein zu haben, bringt einen dieser Größe einen Schritt näher. Juden können mit großem Stolz sagen, dass sie als Volk einige der größten Künstler, Wissenschaftler, Musiker der Welt hervorgebracht haben. Kultureller, ethnischer und religiöser Stolz tragen bei zum kulturellen, ethnischen und religiösen Zusammenhalt.« Ein Phänomen, das die Kunstjournalistin Robin Cembalest ironisch so beschreibt: »Jüdische Kunst zu definieren ist intellektuelle Übung ebenso wie ein Gesellschaftsspiel. Und es sagt über diejenigen, die die Einschätzungen treffen, ebenso viel aus, wie über die Figuren, die wir für uns beanspruchen.«

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