Erderwärmung

Die CO2-Diät

Israelische Wissenschaftler programmieren Darmbakterien so um, dass sie sich vom Klimakiller Kohlendioxid ernähren

von Ralf Balke  12.12.2019 15:28 Uhr

Foto: Getty Images

Israelische Wissenschaftler programmieren Darmbakterien so um, dass sie sich vom Klimakiller Kohlendioxid ernähren

von Ralf Balke  12.12.2019 15:28 Uhr

Eigentlich kann er ein recht harmloser Geselle sein. Die Rede ist von Escherichia coli (E. coli) – gemeinhin auch als Kolibakterium bekannt. Sein Zuhause ist der Darm, wo er einige wichtige Aufgaben im Zusammenhang mit der Verdauung übernimmt. Doch außerhalb seines normalen Habitats können einige Typen des Escherichia coli ziemlich unangenehm werden, zum Beispiel Krankheiten an der Gallenblase oder den Harnwegen auslösen.

Besonders gefürchtet sind die Varianten, die aufgrund unhygienischer Verhältnisse im Trinkwasser, in Nahrungsmitteln oder auf Toiletten von Tier zu Mensch oder von Mensch zu Mensch weitergegeben werden. Sie zählen zu den häufigsten Ursachen von Magen- und Darmbeschwerden, gemeinhin Diarrhö genannt.

ZUCKER Doch geht es nach dem Willen israelischer Wissenschaftler am renommierten Weizmann-Institut in Rehovot, dann kommt in Zukunft dem Kolibakterium mehr als nur eine Schlüsselrolle im Darm zu. Sie forschen an Konzepten, wie es zur Waffe im Kampf gegen den Klimawandel werden kann.

Die Kolibakterien wurden mit Genen von Cyanobakterien angereichtert.

»Unser Labor war das erste, das die Idee verfolgte, die Ernährung normaler heterotropher Organismen so zu verändern, dass sie in autotrophe Lebewesen umgewandelt werden«, skizziert der Molekularbiologe Ron Milo die Idee dahinter. Konkret heißt dies, dass der Speiseplan der Escherichia coli radikal umgestellt wurde. Denn eigentlich ernähren sich Kolibakterien ausschließlich von Zucker, weshalb sie als heterotroph bezeichnet werden. Durch einige Manipulationen an ihrem Erbgut sollten sie nun dazu motiviert werden, statt fester Nahrung das Kohlendioxid aus der Luft in ihrer Umgebung zu verputzen – das nämlich steckt hinter dem Begriff Autotrophie.

UTOPIE »Anfangs klang das alles reichlich utopisch«, berichtet Milo. »Auch mussten wir auf dem Weg dorthin einige Lektionen lernen. Aber am Ende konnten wir beweisen, dass so etwas tatsächlich machbar ist. Unsere Ergebnisse sind zweifellos ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu zahlreichen neuen wissenschaftlichen Anwendungen, von denen man heute wohl kaum eine Vorstellung hat.«

Zehn Jahre bereits arbeitet Milo mit seinem Team im Fachbereich Pflanzen- und Umweltwissenschaften am Weizmann-Institut an diesem Projekt. Dabei hat in der ersten Phase eine Gruppe von Wissenschaftlern unter Leitung von Shmuel Gleizer ganz normale Kolibakterien, wie sie oftmals auch in der Industrie oder in Forschungslaboren zum Einsatz kommen, mit einigen Genen von sogenannten Cyanobakterien angereichert. Dabei handelt es sich um Mikroorganismen, die überwiegend im Wasser leben und zur Photosynthese fähig sind. Da aber Licht als Energiequelle für diese genetisch veränderten Bakterien nicht infrage kam, jubelten die Wissenschaftler dem Ganzen ein weiteres Gen unter, das in Form organischer Moleküle Energie bereitstellt.

UMERZIEHUNG Doch irgendwie hatten die so produzierten Bakterien noch keinen richtigen Appetit auf CO2. Sie wollten weiterhin Zucker. In der zweiten Phase erfolgte daher ihre »Umerziehung«. Die Wissenschaftler verabreichten ihnen eine Diät aus Formiat, einem von der Ameisensäure abgeleiteten Anion, Kohlendioxid sowie kleineren Mengen Zucker, die aber kontinuierlich reduziert wurden. Auf diese Weise setzte man einen evolutionären Prozess in Gang, wobei nur die Bakterien, die diese Prozedur überlebt hatten, weiterverwendet und konditioniert wurden.

Bald waren die ersten von ihnen in der Lage, völlig ohne Zucker auszukommen. »In elf Genen beobachteten wir evolutionäre Veränderungen«, berichtet Milo voller Stolz. In einer dritten Phase bekamen sie ausschließlich Kohlendioxid mit dem Isotop Kohlenstoff 13 verabreicht, der sich von dem deutlich häufiger auftretenden Kohlenstoff 12 unterscheidet. Die Analyse der so gezüchteten Kolibakterien sollte es dann an den Tag bringen: Ihre Biomasse erhielt genau diesen Kohlenstoff, was darauf schließen lässt, dass sie sich ihn aus der verabreichten Luft besorgt hatten und nicht aus irgendwelchen anderen Quellen.

BIOMASSE Derzeit noch brauchen die neuen Kolibakterien Luft mit einem Kohlendioxidgehalt von fünf Prozent – das entspricht einer hundertfach höheren Konzentration, als gewöhnlich in der Atmosphäre vorhanden ist. Langfristig sollen die genetisch veränderten E. coli jedoch in die Lage versetzt werden, mit normalen Bedingungen fertig zu werden. Das aber kann noch dauern, wie Milo betont. Er ist dennoch optimistisch. »Selbst das, was wir bis dato geschafft haben, hielten viele für absolut unrealistisch. Deshalb glaube ich wirklich fest daran, auch diesen Meilenstein zu erreichen.«

Langfristig geht es ihm darum, Kolibakterien zu entwickeln, die fähig sind, so viel Kohlenstofffixierung zu leisten, dass aus ihnen eine Art Biomasse wird. Diese kann wiederum als Ausgangsbasis benutzt werden, um Biokraftstoff herzustellen, dessen Produktion und Verbrennung keinerlei negative Folgen für das Klima hat, weil das dabei freigesetzte Kohlendioxid sowieso aus der Atmosphäre stammt.

»Noch können die Bakterien nicht eigenständig überleben«, sagt Milo. »Daran arbeiten wir aber noch.« Auch darf man sich das nicht so vorstellen, dass die genetisch veränderten Escherichia coli einfach ausgesetzt werden und dann munter Treib­hausgase reduzieren. »Eine derartige Intervention in die Natur beinhaltet zu viele schwer einschätzbare Risiken.«

Was er sich dennoch vorstellen kann, ist ihr baldiger Einsatz in der Landwirtschaft. Denn die Forschungen in Rehovot beschäftigen sich viel mit den Fähigkeiten der Bakterien zur Kohlenstofffixierung, was wiederum die Photosynthese von Pflanzen verbessern könnte. »Und damit auch die Erträge auf dem Feld.«

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