Zentrum für Politische Schönheit

Die Asche meines Großvaters

Eliyah Havemann beim versuchten Abriss der umstrittenen Stahlsäule des Zentrum für Politische Schönheit Foto: Verwendung weltweit

Zentrum für Politische Schönheit

Die Asche meines Großvaters

Unser Autor lebt in Israel. Weil die umstrittene Gedenksäule immer noch in Berlin steht, setzte er sich ins Flugzeug, um sie abzubauen. Hier erklärt er, warum

von Eliyah Havemann  08.01.2020 23:45 Uhr

Mir raucht der Kopf. Es ist 20 nach zehn, und ich sitze zu Hause in Israel an meinem Laptop und schreibe diese Zeilen. Noch vor wenigen Stunden saß ich im Flugzeug aus Berlin. Ich bin aus privaten Gründen dorthin geflogen, doch auch das Private ist manchmal politisch: Ich hatte am Sonntag um zwölf Uhr mittags einen Termin in Berlin. Vor dem Reichstagsgebäude.

Es war der 2. Dezember 2019, als ich auf Twitter von der Aktion des »Zentrums für Politische Schönheit« (ZPS) erfuhr, in der die »Kunstaktivisten« angeblich Asche von Holocaustopfern in einem Mahnmal vor dem Reichstagsgebäude ausgestellt hatten. Meine erste Reaktion war eine Mischung aus Ekel und tiefer Betroffenheit. Mir war natürlich klar, dass rein mathematisch die Wahrscheinlichkeit dafür gegen null geht, aber sie war da: Darin könnte auch die Asche meines Großvaters Dagobert Biermann enthalten sein.

Fragen So wie mir muss es auch anderen Nachkommen der Opfer gehen. Daher fragte ich via Twitter höflich bei den Schönlingspolitikern nach: »Habt ihr euch bei dieser Aktion auch nur eine Sekunde gefragt, was Angehörige der Opfer dabei fühlen oder dazu denken?«

Meine erste Reaktion auf die »Kunstaktion« war eine Mischung aus Ekel und tiefer Betroffenheit.

Die Antwort kam prompt, und ich gebe sie in originaler Rechtschreibung hier wieder: »Doch, haben wir. Wo waren die Opfer des Holocaust, bevor wir anch ihnen gesucht haben? Wir hoffen, dass die Angehörigen wertschätzenkönnen das wir die Opfer des Holocaust der Lieblosigkeit entrissen haben.« Der Tweet wurde kurz darauf gelöscht. Aber er ist entlarvend für die Art, wie das ZPS sich gibt: selbstgerecht, arrogant, uneinsichtig, plump und ein bisschen dumm. Ich war erstaunt, fast geschockt!

Ich kannte das ZPS bis dahin zwar eher flüchtig, aber hatte seine Aktionen immer positiv in Erinnerung. »Kunst« war das, was sie taten, zwar nie so wirklich, aber es war kreativ. Es war deswegen keine Kunst, weil es keinen Tiefgang hatte. Es war immer plakativ und brachial, eindimensional in den politischen Zielen und in der Umsetzung. Das ging oft gut, aber nicht in diesem Fall: Dass sie das Dritte Reich auf einem Banner neben der Stele als »Letzte Deutsche Diktatur« bezeichnet haben, unterstreicht ihre politische Kurzsichtigkeit, da sie die DDR-Diktatur mal eben unter den Teppich gekehrt haben. Und wie originell ist bitte eine Stele?

Originell auf makabere Art und Weise waren aber ihre »Weihnachts«-Angebote, die im ZPS-Webshop angeboten wurden. Diese sollten die Aktion finanzieren helfen. Es waren Glasquader mit eingelassenen Bodenproben aus den Bohrungen. Nach der Kritik an dem Missbrauch der Asche wurde im Shop nachträglich hinzugefügt, dass nur »negative« Bodenproben in diesen Quadern verwendet wurden. Was stimmt, weiß keiner so genau, aber ich dachte nur: Da werden die Nazis, die sich diese Quader gekauft haben, um sich Judenasche auf den Kaminsims zu stellen, aber sauer sein, dass sie hereingelegt wurden. Wer sollte sich sonst so etwas kaufen?

BOHRUNGEN Hereingelegt hat das ZPS alle seine Unterstützer. Ob die Bohrungen jemals stattgefunden haben, darf bezweifelt werden. Als jemand auf Unstimmigkeiten auf dem Bild der Bohranlage auf der Webseite hinwies, beeilte sich das ZPS zu erklären, es sei ein Stockfoto gewesen. Wer so viel Geld für Bohrungen ausgibt, der hat kein Geld für ein brauchbares, echtes Foto von der Aktion übrig? Unvorstellbar.

Verschiedenen Quellen zufolge hat das Zentrum für Politische Schönheit viel Geld eingenommen. Und nach allem, was zu lesen ist, sollen es Größenordnungen sein, die für eine wissenschaftlich durchgeführte Forschung mit Bohrkernen sinnvoll erscheinen. Ob sie tatsächlich stattgefunden hat, wird zurzeit recherchiert. Auch die Wege des Geldes werden nach und nach offengelegt werden.

Viele Dinge, die noch nicht presseöffentlich sind, waren uns im AKK, dem »Aktions-Künstler-Komitee«, bekannt, bevor wir den Plan fassten, aktiv zu werden, und beschlossen, die Säule zu entfernen. Aber sie waren nur noch das i-Tüpfelchen auf der Ungeheuerlichkeit, die das ZPS begangen hat. Zu »selbstgerecht, arrogant, uneinsichtig, plump und ein bisschen dumm« kommt eben noch »geldgeil« hinzu.

warnung Die Säule vor dem Reichstag sollte eigentlich vor einer Koalition der CDU mit der AfD warnen. Das ging in der Diskussion um die Asche völlig unter. Das finde ich schade. Denn dieses Anliegen teilen ich und das gesamte AKK.

Habt ihr euch auch nur eine Sekunde gefragt, was Angehörige der Opfer dabei fühlen?

Ursprünglich posaunte das ZPS, dass in der Säule tatsächlich menschliche Überreste seien. Dann revidierte es diese Aussage und behauptete, auch dort seien nur »negative Bodenproben« enthalten. Deswegen wundert es umso mehr, dass der Einsatz mit der Asche nach der ersten Protestwelle entfernt und der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) zur Beerdigung übergeben wurde. Wozu?

Dieses »Kunstwerk« ist offenbar nicht reparabel. Es hat die Schoa missbraucht, die Totenruhe verletzt, sein politisches Ziel verfehlt, und es ist künstlerisch wertlos. Es muss weg. Durch die Aktion des AKK wurde es endlich zum, hoffentlich bald unsichtbaren, Aktionskunstwerk. Schade nur, dass das ZPS für das dauerhafte Einbetonieren der Säule zweckgebundene Spenden eingesammelt hat. Deswegen wehrt es sich jetzt gegen die endgültige Entfernung. Es geht wohl doch nur ums Geld. Geld, das mit dem Beschmutzen des Andenkens auch an meinen Großvater verdient wurde.

Genf

Entscheidung gefällt: Israel bleibt im Eurovision Song Contest

Eine Mehrheit der 56 Mitgliedsländer in der European Broadcasting Union stellte sich am Donnerstag gegen den Ausschluss Israels. Nun wollen Länder wie Irland, Spanien und die Niederlande den Musikwettbewerb boykottieren

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann wird heute mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt. Bislang schwieg sie zur scharfen Kritik an ihrer Arbeit. Doch jetzt antwortete die ARD-Journalistin ihren Kritikern

 04.12.2025

Antisemitismus

Schlechtes Zeugnis für deutsche Schulen

Rapper Ben Salomo schreibt über seine Erfahrungen mit judenfeindlichen Einstellungen im Bildungsbereich

von Eva M. Grünewald  04.12.2025

Literatur

Königin Esther beim Mossad

John Irvings neuer Roman dreht sich um eine Jüdin mit komplexer Geschichte

von Alexander Kluy  04.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter, Imanuel Marcus  04.12.2025

Show-Legende

Mr. Bojangles: Sammy Davis Jr. wäre 100 Jahre alt geworden

Er sang, tanzte, gab den Spaßmacher. Sammy Davis Jr. strebte nach Erfolg und bot dem Rassismus in den USA die Stirn. Der Mann aus Harlem gilt als eines der größten Showtalente

von Alexander Lang  04.12.2025

Preisvergabe

Charlotte Knobloch kritisiert Berichterstattung von Sophie von der Tann

Dass problematische Berichterstattung auch noch mit einem Preis ausgezeichnet werde, verschlage ihr die Sprache, sagt die Präsidentin der IKG München

 04.12.2025

Philosophie

Drang zur Tiefe

Auch 50 Jahre nach ihrem Tod entzieht sich das Denken Hannah Arendts einer klaren Einordnung

von Marcel Matthies  04.12.2025

Kulturbetrieb

»Wie lange will das politische Deutschland noch zusehen?«

Der Bundestagskulturausschuss hörte Experten zum Thema Antisemitismus an. Uneins war man sich vor allem bei der Frage, wie weit die Kunstfreiheit geht

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025