Kino

Der Wandel des »Ka-Tzetnik«

Szene aus dem Film Foto: Black Sheep Film Productions

Ein Mann, drei Identitäten: Der 1909 im polnischen Sosnowiec geborene Yehiel Feiner überlebte zwei Jahre Haft im Konzentrationslager Auschwitz. 1946 veröffentlichte er als »Ka-Tzetnik 135633« den autobiografisch geprägten Roman Salamandra. Sein 1953 erschienenes Buch Das Haus der Puppen über eine Kohorte von Sexsklavinnen der Wehrmacht beeinflusste den englischen Musiker Ian Curtis, dessen Band sich 1978 in Joy Division umbenannte. Für die Hochzeit mit Nina Asherman nahm Ka-Tzetnik einen neuen bürgerlichen Namen an: Yehiel De-Nur. 

Assaf Lapids Film Der Code begibt sich auf die Spurensuche nach einem Mann, der in Israel trotz des Erfolgs seiner Bücher ohne öffentliche Auftritte und Fotos zunächst ein Rätsel blieb. Erst seine Zeugenaussage beim Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem 1961 offenbarte seine Identität. In den Worten eines Schriftstellers versuchte er, sich dem Thema Auschwitz (»Planet der Asche«) zu nähern, wurde dabei von einem Fragesteller unterbrochen und verlor das Bewusstsein. 

1976 unterzog er sich einer experimentellen Behandlung mit LSD

Lapids in drei Kapitel unterteilte historische Zeitreise beginnt mit dem Blick auf eine Villa in Leiden in den Niederlanden. Dort unterzog sich De-Nur 1976 einer experimentellen Behandlung mit LSD. Der Neurologe und Psychiater Jan Bastiaans hatte sich darauf spezialisiert, Opfer von traumatischen Erfahrungen mit dem Halluzinogen zu therapieren.

De-Nur erhoffte sich ein Ende der »quälenden Alpträume der vergangenen 30 Jahre«, wie ihn eine Erzählerstimme aus dem Off zitiert. Sie spricht auch von den Nächten im Bett, »in Erwartung der Begegnung mit meinen schlimmsten Ängsten«. Lapid kann für seine biografische Rekonstruktion auf transkribierte Aufnahmen der fünf Sitzungen in Leiden zurückgreifen. Sie führten den Patienten wie ein hypnotischer Trip in seine Kindheit zurück und schließlich ins Lager Auschwitz. 

Er wollte den Toten eine Stimme geben, den Code des für ihn einzigartigen »anderen Planeten« Auschwitz entschlüsseln.

Spielszenen, historische Fotos, Filmaufnahmen und Ausschnitte aus TV-Auftritten von De-Nur sowie Interviews mit seiner Frau Nina, mit Zeitgenossen, Historikern, Psychiatern und Literaturwissenschaftlern zeichnen ein komplexes Bild. Sichtbar wird ein Autor, der feststellte: »Ich möchte mich an alles erinnern.« Er sah nur so einen Sinn darin, die Schoa überlebt zu haben.

Er wollte den Toten eine Stimme geben, den Code des für ihn einzigartigen »anderen Planeten« Auschwitz entschlüsseln. Zum Schreiben zog er sich in eine Hütte zurück und schrieb in seiner nach Israel mitgeführten Häftlingskleidung.

Die Behandlungen in Leiden motivierten eine Wandlung in De-Nurs Zugang zu Auschwitz. In den poetisch stilisierten Bildern des Lagers in Lapids Film begegnen sich Opfer und Täter, Häftling und SS-Mann. »Ich bin die Deutschen, die SS und ich sind eins«, schrieb De-Nur später. Auschwitz erschien ihm nun nicht mehr als einmaliges Phänomen, sondern als Beispiel für das allen Menschen innewohnende Potenzial für Barbarei. Yehiel De-Nur ist 2001 mit 92 Jahren in Tel Aviv gestorben. Assaf Lapids Film bringt uns Leben und Werk ganz nah.

Aufgegabelt

Plätzchen mit Halva

Rezepte und Leckeres

 05.12.2025

Kulturkolumne

Bestseller sind Zeitverschwendung

Meine Lektüre-Empfehlung: Lesen Sie lieber Thomas Mann als Florian Illies!

von Ayala Goldmann  05.12.2025

TV-Tipp

»Eigentlich besitzen sie eine Katzenfarm« - Arte-Doku blickt zurück auf das Filmschaffen von Joel und Ethan Coen

Die Coen-Brüder haben das US-Kino geprägt und mit vielen Stars zusammengearbeitet. Eine Dokumentation versucht nun, das Geheimnis ihres Erfolges zu entschlüsseln - und stößt vor allem auf interessante Frauen

von Manfred Riepe  05.12.2025

Köln

Andrea Kiewel fürchtete in Israel um ihr Leben

Während des Krieges zwischen dem Iran und Israel saß Andrea Kiewel in Tel Aviv fest und verpasste ihr 25. Jubiläum beim »ZDF-Fernsehgarten«. Nun sprach sie darüber, wie sie diese Zeit erlebte

 05.12.2025

Genf

Entscheidung gefällt: Israel bleibt im Eurovision Song Contest

Eine Mehrheit der 56 Mitgliedsländer in der European Broadcasting Union stellte sich am Donnerstag gegen den Ausschluss Israels. Nun wollen Länder wie Irland, Spanien und die Niederlande den Musikwettbewerb boykottieren

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann schwieg bislang zur scharfen Kritik. Doch jetzt reagiert die ARD-Journalistin auf die Vorwürfe

 04.12.2025

Antisemitismus

Schlechtes Zeugnis für deutsche Schulen

Rapper Ben Salomo schreibt über seine Erfahrungen mit judenfeindlichen Einstellungen im Bildungsbereich

von Eva M. Grünewald  04.12.2025

Literatur

Königin Esther beim Mossad

John Irvings neuer Roman dreht sich um eine Jüdin mit komplexer Geschichte

von Alexander Kluy  04.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter, Imanuel Marcus  04.12.2025