Meinung

Der »Tatort« und die Identitären

Szene aus dem neuen »Tatort« mit Anais Schmitz (Florence Kasumba, l.) und Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) Foto: PR/NDR

Sonntag, 20:15 Uhr. Tatort-Zeit. »National feminin« heißt der Titel der aktuellen Ausgabe des Krimis im Ersten. Für viele Mitglieder der Identitären Bewegung ging da wohl ein Traum in Erfüllung. Vor 9,5 Millionen Zuschauern wurde 90 Minuten lang ihre krudeste rechte Ideologie ausgebreitet, und das zur Prime Time.

Bei den Identitären handelt es sich um eine Jugendbewegung der sogenannten »Neuen Rechten«. Sie ist seit 2012 in mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland und Österreich, aktiv. Seit letztem Jahr wird der deutsche Ableger vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft.

»BEVÖLKERUNGSAUSTAUSCH« Hinter dem Auftritt der Identitären Bewegung steckt ein genau durchdachtes Medienkonzept sowie antisemitische Verschwörungsideologien wie jene vom «Bevölkerungsaustausch« oder - wie im gestrigen Tatort – von der »großen Übernahme«.

Die Idee einer vermeintlichen Ersetzung der weißen-europäischen Rasse durch Migranten aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten ist jedoch freilich keine Erfindung der Identitären. Das Konzept geht vielmehr auf den rechten französischen Philosophen Renaud Camus zurück. Mit seinem Buch Le Grand remplacement lancierte er 2011 die These von dieser angeblichen Verschwörung.

Für das Gesicht der Identitären Bewegung, den Österreicher Martin Sellner, sind die Drahtzieher des »großen Austauschs« klar: Es handelt sich um »Globalisten«, »internationalistische Eliten« und namentlich um den ungarisch-jüdischen Philanthropen George Soros. All das sind Codes und Chiffren, die dem strukturellen Antisemitismus zuzuordnen sind.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Befasst man sich genauer mit der Identitären Bewegung, stolpert man immer wieder über das Wort »Metapolitik«. Alles, was sie machen, ist irgendwie metapolitisch. Der italienische Kommunist Antonio Gramsci hat den Begriff der »kulturellen Hegemonie« geprägt. Damit ist der Kampf um kulturelle Deutungshoheit gemeint.

Die Neue Rechte nutzt gezielt alle medialen Möglichkeiten, um Begriffe wie »Remigration« oder den »großen Austausch« in unserer Gesellschaft zu implementieren. Beide Begriffe finden sich, dank AfD, auch im Bundestag wieder - ein Erfolg für Sellner und Co.

INSZENIERUNG Die Identitäre Bewegung ist, nicht zuletzt aufgrund ihrer ideologischen Verbindungen zum Christchurch-Terroristen, eigentlich an einem Tiefpunkt angelangt. In der realen Welt findet sie kaum noch Beachtung. Ihre »metapolitische« Inszenierung in den sozialen Netzwerken hingegen läuft auf Hochtouren.

Hier liegt das Problem dieses Tatorts: Eine in der realen Welt unbedeutende Bewegung sieht ihre Slogans, Forderungen und Aktionen im deutschen Fernsehen dargestellt. Nicht in einer Dokumentation, sondern in einem Unterhaltungsprogramm.

KONSEQUENZEN Zu wenig findet im Tatort eine Distanzierung zu tatsächlichen Begebenheiten des realen Lebens statt, zu sehr werden Aktionen und Ideologien der Identitären Bewegung dargestellt, ohne sie zu hinterfragen.

Neofaschistische, rassistische und antisemitische Aussagen, ohne kritische Einordnung, zur besten Sendezeit. Die Programmmacher hätten sich vielleicht vorher mal überlegen sollen, welche Konsequenzen das in diesen Zeiten haben kann.

Der Autor ist stellvertretender Vorsitzender von JSUD, der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands.

Berlinale

Polizei ermittelt nach Antisemitismus-Skandal

Der Regisseur Jun Li hatte einen Brief des Schauspielers Erfan Shekarriz vorgelesen, der zur Vernichtung Israels aufruft

 17.02.2025

Lesen!

»Oh, ihr Menschenbrüder«

In seiner kurzen Erzählung verknüpft der französische Schriftsteller Albert Cohen die Dreyfus-Affäre mit der Schoa

von Ralf Balke  17.02.2025

Kulturkolumne

Meine Verwandten, die Trump-Wähler

Warum Hollywood endlich das Leben meiner Tanten und Onkel verfilmen muss

von Eugen El  17.02.2025

Gespräch

Andrea Sawatzki und Christian Berkel: Schweigen gefährdet Beziehungen

Andrea Sawatzki und Christian Berkel sind feste Größen in der hiesigen Film- und Fernseh-Branche - und seit über 25 Jahren ein Paar. Auch gemeinsam stehen sie vor der Kamera, etwa im neuen TV-Drama »Querschuss«

von Katharina Zeckau  17.02.2025

Berlin

Neuer Antisemitismus-Vorfall bei Berlinale

Die verbotene Terror-Parole »From the river to the sea ...« erntet sogar Beifall

 17.02.2025

Berlinale

»David und Eitan sind mit meinem Leben verankert«

Der israelische Regisseur Tom Shoval hat einen filmischen Brief an David Cunio gedreht. Ein Gespräch über Zerrissenheit, Dankbarkeit und Hoffnung

von Katrin Richter  17.02.2025

Berlinale

Dokumentarfilm »Holding Liat« blickt differenziert auf Nahost

Der Streit um Antisemitismus und den Nahost-Konflikt lässt sich aus der Berlinale nicht heraushalten. Am besten ist er in den Filmen aufgehoben, die davon erzählen - so wie die Dokumentation »Holding Liat«

von Felicitas Kleiner  17.02.2025

Musik

Avenger sucht Superkraft

Der amerikanische Schlagzeuger Aaron Frazer hat sich als Soulsänger neu erfunden – und musste sich daran gewöhnen, im Mittelpunkt zu stehen

von Nils Kottmann  16.02.2025

Zahl der Woche

5. Jahr

Fun Facts und Wissenswertes

 16.02.2025