Manchmal denkt mein Glossengehirn, dass es bei all den unerfreulichen Nachrichten fast nichts mehr gibt, was noch diese schwere Decke des Weltgeschehens wegziehen könnte, die auf allem und allen lastet.
Und dann sind da plötzlich Meldungen, die das doch schaffen: wie zum Beispiel die, dass das EU-Parlament über eine Gesetzesänderung für die Bezeichnung von Wurst, Schnitzel und Burger abgestimmt hat.
Genauer gesagt über die Bezeichnung von Tofu-Wurst, -Schnitzel und -Burger. 355 Abgeordnete stimmten für ein entsprechendes Namensverbot für vegane und vegetarische Alternativen, 247 dagegen, 30 enthielten sich. Nun müssen noch die 27 EU-Staaten der philosophischen Frage nachgehen, ob nur Wurst aus vormals lebendigem Tier – und zwar ausschließlich diese – Wurst heißen darf.
Um es gleich kalauernd vorwegzunehmen: Mir ist das wurst. Tofu-wurst, genauer gesagt. Denn ich esse seit 30 Jahren kein Fleisch und bin auch kein Fan von Fleischersatzprodukten. Allein dieses Wort! Ich frage mich häufig: Wer kauft sich freiwillig diese Teile, deren Inhaltsstoffe etwa so klingen: Tofu 62 Prozent (Sojabohnen 55 Prozent, Wasser, Gerinnungsmittel: Magnesiumchlorid, Calciumsulfat), Naturreis, kaltgepresstes Sonnenblumenöl, Weizeneiweiß, Gemüsebrühe (… und dann wird aufgezählt, welche Gewürze da alle drin sind). Mit den Inhaltsstoffen der Tier-Wurst will ich gar nicht erst anfangen.
Werden Menschen mittlerweile für so dumm gehalten, dass sie bei Tofu-Würstchen an Fleisch denken, nur weil das Wort Würstchen drinsteckt?
Aber es gibt ihn nun einmal, diesen riesigen Markt der Fleischersatzprodukte. Unverkennbar gibt es ihn. Selbst große Wurstbetriebe bieten mittlerweile geformte Sojabohnen-Weizeneiweiß-Gerinnungsmittel-Produkte als Aufstrich oder Ähnliches an. Eine andere Frage, die ich mir ob dieser Wurst-Meldung gestellt habe: Werden Menschen mittlerweile für so dumm gehalten, dass sie bei Tofu-Würstchen an Fleisch denken, nur weil das Wort Würstchen drinsteckt?
Vielleicht hilft ja ein Blick in die Etymologie: Manchmal ist das ganz erhellend. Wurst, so steht es im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, das immerhin von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird, habe – wie übrigens mancher Inhalt von Würsten auch – eine recht ungewisse Herkunft. »Am besten ist wohl Anschluß (ausgehend von ie. *urtsti-) im Sinne von ›Gedrehtes‹ an ie. *uert- ›drehen, wenden‹«. Aah: drehen und wenden.
Dann wäre doch alles geklärt, oder? Tofu-Wurst darf auch weiterhin Wurst heißen, denn auch Tofu, Naturreis, kaltgepresstes Sonnenblumenöl et cetera werden gewendet oder gedreht – oder etwa nicht? Ich bin wirklich froh, dass es in Europa keine anderen Probleme gibt. Ein Freund fragte mich kürzlich übrigens, ob koffeinfreier Kaffee dann auch nicht mehr Kaffee heißen sollte. Any thoughts?