Finale

Der Rest der Welt

Schauen Sie, eigentlich bin ich ein ziemlicher Waschlappen. Wenn mir
jemand auf der Straße »Hornochse« zubrüllen würde, würde mich das sehr
lange beschäftigen. Bin ich wirklich ein Hornochse? Und wenn ja, wie
viele? Oder wenn ich mich unten in der Waschküche eintrage zum
Kleiderwaschen und der Nachbar von links oben einfach frech und fröhlich
seine Unterhosen nochmals bei 90 Grad durchwirbeln lässt, so reagiere
ich nicht gereizt, sondern nehme mir vor, beim nächsten Mal meinen Namen
noch deutlicher auf die Zeittabelle zu schreiben.

Oder unsere
Putzfrau. Über sie werden wir heute reden. Sie kommt aus einem armen
Land, dessen Name ich gar nicht richtig buchstabieren kann. Irgendetwas
mit »Ungarn«. Wir schreiben ihr immer auf, was sie zu tun hat: »Kleider
bügeln und Boden wischen – Danke!« Nach dem »danke« habe ich immer ein
Herzchen gezeichnet, weil ich bin ja nicht so ein Kommandant, der aus
Boshaftigkeit herumkommandiert. Ich bin eher der jüdische Benjamin, mit
ein paar Minderwertigkeitskomplexen. Manchmal habe ich auch eine Tafel
Schokolade neben dem Zettel hingelegt. Oder Blumen. Oder viel Trinkgeld.

Depressionen
Die Putzfrau, nennen wir sie Olga, kommt aus einem anderen Land. Das
haben wir schon mal erwähnt. Ich verstehe sie nie ganz richtig. Sie wäre
früher Ingenieurin gewesen, hat sie mir mal erzählt. Ein großes Haus
mit großem Garten gehört ihr dort unten. Der Mann ist vom Zug überfahren
worden, und die beiden Söhne sind erfolgreiche Ärzte, aber beide leiden
unter Depressionen. So ungefähr geht ihre Lebensgeschichte. Sie redet
nicht so gern mit mir. Warum, weiß ich nicht.

Seit fünf Jahren
putzt sie unsere kleine Wohnung. Das Geld will sie immer am Monatsende.
Manchmal habe ich keine Scheine mehr, dann gebe ich ihr aus unserer
Zedakabüchse, die gefüllt ist mit Kleingeld. Weil ich ein künstlerischer
Mensch bin, mache ich immer schöne Zehn- und 20-Rappentürme. Dass die
Beträge immer stimmen, können Sie mir glauben. Ich unterrichte
Mathematik und mache fast nie Fehler.

Geld
So, seit ein paar Monaten mäkelt Olga aber immer wieder. Ich würde ihr
zu wenig geben. Die ersten zwei Male habe ich ihr das Geld gegeben.
Meine Frau schimpft natürlich immer mit mir. Mich hat das natürlich
wieder sehr beschäftigt. Bin ich so ein geiziger Jude, der außerdem
nicht richtig rechnen kann?

In der vergangenen Woche hatte ich
das Geld wieder nicht passend und kastrierte das Sparschwein für die
»Kupat Ha’Ir«. Ich zählte dreimal nach. Der Betrag musste stimmen. Und
wieder schimpfte die blöde Olga. Und wieder hätte mich das beinahe
erneut beschäftigt. Doch diesmal war ich zum ersten Mal im Leben ein
Mann: Ich habe ihr gekündigt! Einfach so. Es hat sich sehr männlich
angefühlt, so richtig mächtig!

Genetik

Liegt es in der Familie?

Eierstockkrebs ist schwer zu erkennen. Warum ein Blick auf den Stammbaum nützen kann

von Nicole Dreyfus  23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Stefan Wimmer  23.11.2025

Aufgegabelt

Linsenpfannkuchen von König David

Rezept der Woche

von Jalil Dabit, Oz Ben David  22.11.2025

TV-Tipp

TV-Premiere: So entstand Claude Lanzmanns epochaler Film »Shoah«

Eine sehenswerte Arte-Dokumentation erinnert an die bedrückenden Dreharbeiten zu Claude Lanzmanns Holocaust-Film, der vor 40 Jahren in die Kinos kam

von Manfred Riepe  21.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  21.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  21.11.2025

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  21.11.2025