Glosse

Der Rest der Welt

Foto: Getty Images

Seit ich ein schwarz gekleideter Teenager mit ketchup-roten Haaren in einer trostlosen Brandenburger Betonstadt war, mag ich Franz Kafka. Wenn andere beim Satz »Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn …« die Augen rollten, sich beim Brief an den Vater langweilten oder sich vor dem Käfer in Die Verwandlung ekelten, dann las ich weiter. Und auch heute, drei Dekaden, eine Haarfarbe und eine Stadt später, kann ich einfach nicht verstehen, wie man Franz Kafka nicht mögen kann.

Ich habe sogar noch das erste Franz-Kafka-Ost-Reclam-Heft, das ich mir 1993 als Teenie aus der Schule geborgt habe, in meinem Bücherregal. Es ist das Taschenbuch Nr. 1170 aus dem Jahr 1987. Es ist abgegriffen, ockergrau und riecht nach altem Buch. Ganz schlank steht es zwischen der S. Fischer-Gesammelte Werke-Ausgabe, die fancy schwarz-lackiert daherkommt, und einem Franz-Kafka-Roman auf Georgisch. Ich weiß nicht, welcher das ist, aber eine ehemalige Kollegin, die in Georgien war, versicherte mir, dass es ein Buch von Kafka sei.

Eigentlich immer, wenn Freunde oder Bekannte oder deren Bekannte in Länder mit anderen Schriftbildern reisen, bitte ich sie, mir ein Exemplar eines Franz-Kafka-Buches mitzubringen. Viele sind allerdings noch nicht zusammengekommen. Einmal versuchte ich es aber selbst, und zwar in einem riesigen Buchladen in Kyoto. Er war gefühlt drei Stockwerke hoch und tief, minimalistisch designt, sogar ein bisschen verwinkelt in seiner zurückhaltenden Architektur. Die Bücherregale waren meterlang und ragten in die Höhe, manchmal stand da eine Leiter, um an die oberen Bücher zu gelangen. Es war fast wie in einem Kafka-Roman.

Mein Japanisch war ausgerechnet an diesem Tag so schlecht, dass ich nicht ein Wort lesen konnte.

Die Bücher waren bestimmt alphabetisch und nach Kategorien sortiert. Mein Japanisch war ausgerechnet an diesem Tag so schlecht, dass ich nicht ein Wort lesen konnte. Also versuchte ich, die Thematik anhand der Buchrücken zu erraten. Sollte ein ganzer Buchladen wirklich aus Science-Fiction, blassen Bedienungsanleitungen oder neonfarbenen – vermutlich, nein hoffentlich – Kinderbüchern bestehen? Das konnte doch nicht sein.

Ich ging auf einen Verkäufer zu und fragte nach Büchern von Franz Kafka. Kafka? Franz Kafka? Freundliches Kopfschütteln. Okay, dachte ich, vielleicht im anderen Stockwerk. Das gleiche Bild, das gleiche höflich verneinende Kopfschütteln. Ich freundete mich mit dem Gedanken an, ohne Franz Kafka auf Japanisch nach Hause fliegen zu müssen.

Plötzlich kam ein Mann auf mich zu. Jemand musste meine Suche und mich netterweise verraten haben, denn ohne, dass ich etwas dazugetan hätte, hielt einer der Verkäufer ein schmales Buch in der Hand, schlug die erste Seite auf und zeigte auf die fünf Buchstaben, die Klarheit brachten: Kafka. Der Prozess war es. Ich quetschte mir ein »Arigato Gozaimasu« ab – der Verkäufer lächelte immer noch höflich –, arbeitete mich hoch zum Ausgang und bezahlte meinen Kafka. Leider fuhr ich danach nach Otsu an eine Art Strand, wo ich das Buch liegen ließ. Kafka am Strand, wie kafkaesk!

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte. Bis er eine entscheidende Rolle von den Coen-Brüdern bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  14.07.2025

Musik

Der die Wolken beschwört

Roy Amotz ist Flötist aus Israel. Sein neues Album verfolgt hohe Ziele

von Alicia Rust  14.07.2025

Imanuels Interpreten (11)

The Brecker Brothers: Virtuose Blechbläser und Jazz-Funk-Pioniere

Jazz-Funk und teure Arrangements waren und sind die Expertise der jüdischen Musiker Michael und Randy Brecker. Während Michael 2007 starb, ist Randy im Alter von fast 80 Jahren weiterhin aktiv

von Imanuel Marcus  14.07.2025

Kino

»Superman« David Corenswet fühlte sich »wie ein Astronaut«

»Ich habe dafür trainiert, ich habe es mir gewünscht, und jetzt liegt die ganze Arbeit vor mir«, sagt der Darsteller mit jüdischem Familienhintergrund

von Philip Dethlefs  14.07.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Superman kommt ins Kino – und wo sind die super Männer?

von Katrin Richter  13.07.2025

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 wohl nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  14.07.2025 Aktualisiert