Glosse

Der Rest der Welt

Foto: Michael Thaidigsmann

So ein Gemeindetag bietet allerhand »food for thought«. Das zeigte der mindestens zwei Finger dicke, spiralgebundene Programmkatalog für das viertägige Event. Auch über die Verpflegung der 1400 Teilnehmer hatten sich die Veranstalter viele Gedanken gemacht. Die reichhaltigen Buffets morgens, mittags und abends waren in der Gebühr inbegriffen, die zu entrichten war. Was Geschmack und Vielfalt angeht, lagen sie aber deutlich über dem Niveau eines durchschnittlichen All-inclusive-Hotels.

Nicht im offiziellen Programm und daher auch nicht in der Kostenpauschale inkludiert war hingegen das von Jacques Abramowicz aus Düsseldorf organisierte Whisky-Tasting. Selbiges hat schon eine lange Tradition. Mitte der 90er-Jahre nahm Abramowicz eine Flasche Single Malt auf eine Ratsversammlung mit. Zu seiner großen Überraschung war er nicht der Einzige. Zwei weitere Teilnehmer hatten Hochprozentiges im Gepäck. Man setzte sich zusammen und verkostete.

Das Ganze wurde schnell zur Tradition. Das Prinzip ist denkbar einfach: Jeder bringt einen Whisky mit und schenkt ihn den anderen ein. Oder aus.
Die Freude darüber stand den Teilnehmern des Tastings in der Hotellobby ins Gesicht geschrieben. Es flossen sogar Tränen des Glücks. Zum Beispiel, als der »Writer’s Tears« ins Glas kam. Oder besser: aus dem Glas wieder heraus und in den Rachen des Schreibers dieser Glosse hinein. Denn ihm war die große Ehre zuteilgeworden, zur Verkostung eingeladen zu werden.

Der Whiskey hatte es in sich. Ja, richtig gelesen, diese Spezies schreibt sich mit »e«. Denn es handelt sich um einen Tropfen von der Grünen Insel. Der »Writer’s Tears Marsala Cask« besticht durch eine fruchtige, samtige, würzige Note. Dreifach gebrannter irischer Whiskey geht genau so – ohne viel Torf und Tralala.

Direkt im Anschluss kam ein »Islay Single Malt« zur Verkostung, der schmeckte, als sei zu seiner Herstellung ein ganzes Torfmoor abgefackelt worden. Nun gut, die Geschmäcker sind verschieden, aber yours truly war es etwas zu viel des Guten. Und das, obwohl dieser Scotch von einem äußerst humorvollen und in der Whisky-Wissenschaft bewanderten Rabbiner beigesteuert wurde. Selbiger (sein Name ist der Redaktion bekannt) brachte noch eine weitere Flasche in die Verkostung ein: einen Lagavulin, ebenfalls sehr torfig, aber wesentlich komplexer als der erste.

Die Flasche war schnell geleert – wohl auch, weil das Tasting in der Hotellobby stattfand und viele sich spontan hinzugesellten.
Später wurde sogar gesungen, zu Ehren des Organisators, der zu allem Überfluss auch noch Geburtstag hatte. Jacques Abramowicz hatte einen Israeli dabei. Aus Tel Aviv. Sie werden sich jetzt fragen: israelischer Whisky, ma pitom? Doch, so etwas gibt’s wirklich. Der ausgeschenkte Milk & Honey »Elements« aus dem Sherry-Fass wurde im März in London sogar zum besten Single Malt der Welt gekürt. Mehr muss man nicht wissen.

Dass das Whisky-Tasting beim nächsten Gemeindetag Teil des offiziellen Programms werden soll, wurde von einem Sprecher des Zentralrats auf Nachfrage übrigens entschieden dementiert.

Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Am 1. Dezember startet die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst. Doch es braucht eine gesetzliche Regelung auch für Werke in Privatbesitz, meint unser Gastautor

von Rüdiger Mahlo  01.12.2025

Rache

»Trigger-Thema« für Juden

Ein Filmseminar der Jüdischen Akademie untersuchte das Thema Vergeltung als kulturelle Inszenierung

von Raquel Erdtmann  01.12.2025

Wuppertal

Schmidt-Rottluff-Gemälde bleibt in Von der Heydt-Museum

»Zwei Frauen (Frauen im Grünen)« von Karl Schmidt-Rottluff kann im Von der Heydt Museum in Wuppertal bleiben. Nach Rückgabe an die Erbin erwarb die Stadt das Bild von ihr. Vorausgegangen waren intensive Recherchen zur Herkunft

 01.12.2025

Dorset

»Shakespeare In Love« - Dramatiker Tom Stoppard gestorben

Der jüdische Oscar-Preisträger war ein Meister der intellektuellen Komödie. Er wurde 88 Jahre alt

von Patricia Bartos  01.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  01.12.2025 Aktualisiert

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 30.11.2025 Aktualisiert

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025

Interview

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  29.11.2025