Glosse

Der Rest der Welt

Tel Aviv spricht Deutsch oder 25 Schekel sind 14 Mark

von Joshua Schultheis  14.12.2022 15:59 Uhr

Joshua Schultheis Foto: Charlotte Bolwin

Tel Aviv spricht Deutsch oder 25 Schekel sind 14 Mark

von Joshua Schultheis  14.12.2022 15:59 Uhr

Für die Jeckes, die deutschsprachigen Juden, war Tel Aviv anfangs die Hölle. Viel zu trocken, zu heiß und unzivilisiert war der Küstenort für die meist aus dem Bildungsbürgertum stammenden Juden, die noch vor der Staatsgründung hierherkamen. »Bitte schön, Herr Doktor! – Danke schön, Herr Doktor!«, sollen sie sich auf den Baustellen zugerufen haben, während sie Ziegelsteine weiterreichten.

Aber auch, wenn sie lange auf ihren Höflichkeitsformen bestanden und selbst in sengender Hitze ihre dunklen Jacketts – übrigens eine mögliche Herkunft des Wortes »Jecke« – nicht ablegen wollten: Die deutschen Juden drückten dem Stadtbild Tel Avivs ihren Stempel auf.

zuwanderung Nun ist der Höhepunkt der deutschen Zuwanderung ins heutige Israel schon beinahe 100 Jahre her. Dass das kehlige – manche sagen: schöne – deutsche Idiom aber aus den Straßen Tel Avivs noch nicht verschwunden ist, konnte ich bei meinem letzten Israel-Urlaub selbst erfahren.

An meinem ersten Tag in der »weißen Stadt« mache ich auf dem Kunstmarkt Nachalat Binyamin die Bekanntschaft von Alejandro Silbermann. Der Kunsthandwerker erzählt mir in fließendem Deutsch, dass er in Argentinien geboren wurde, seine Eltern aber aus Deutschland kamen.

Seit vielen Jahrzehnten wohnt er nun in Tel Aviv, wo er seine kleinen Figürchen aus Pappmaschee, Tiere und Menschen aller Art, auf Märkten feilbietet. Wir quatschen eine Weile, ich entscheide mich für zwei kleine Rabbiner mit winzigen Schildern, auf denen »Schalom« steht, lasse 120 Schekel bei Alejandro und gehe meines Weges.

»Bitte schön, Herr Doktor! – Danke schön, Herr Doktor!«, sollen sich die Jeckes auf den Baustellen zugerufen haben, während sie Ziegelsteine weiterreichten.

Nur etwa 100 Meter den Markt entlang, und ich werde in ein Gespräch mit dem Maler Marius verwickelt. Marius ist in einem kleinen schwäbischen Dorf geboren, wurde später zum Weltenbummler und ist vor einigen Jahren in Tel Aviv gelandet, der »besten Stadt der Welt«, wie er sagt. Hier malt er kleine Ansichten seiner Wahlheimat. Ich kaufe eine für 300 Schekel und habe damit mein Soll an Mitbringseln erfüllt.

Gleich morgens am nächsten Tag fällt mich die deutsche Sprache buchstäblich an: Ein kleiner Hund verbeißt sich an der Strandpromenade in meinen Schuh. Selbstverständlich ist es nicht der Welpe, sondern sein Frauchen, das Deutsch spricht.

Yael hat in Tübingen studiert und freut sich über die Gelegenheit, sich mal wieder mit jemandem auf Deutsch zu unterhalten. Zu verkaufen hat sie nichts, und so kostet mich dieses Gespräch keine Agora.

bio-laden Anders als meine nächste Begegnung: In einem angesagten Bio-Laden steht hinter der Backwaren-Theke eine junge Frau namens Julia. Sie kommt aus Dresden und ist für ein halbes Jahr zum Arbeiten in Israel. Wir sprechen darüber, wie toll, aber teuer Tel Aviv ist, bis ich schließlich auf die keksgroßen veganen Kokos-Pralinen zeige, von denen mir Julia drei Stück à 25 Schekel einpackt.

Während ich kaue, bekomme ich einen Schreck: 25 Schekel? Bei einem Wechselkurs von einem Euro zu dreieinhalb Schekel macht das – 14 Mark! Als ich daraufhin zurückrechne, was ich in den letzten Tagen ausgegeben habe, laufe ich rot an. Deutscher als Tel Aviv ist offenbar nur mein Verhältnis zu Geld.

Frankfurt am Main

Bildungsstätte Anne Frank zeigt Chancen und Risiken von KI

Mit einem neuen Sammelband will sich die Institution gegen Diskriminierung im digitalen Raum stellen

von Greta Hüllmann  19.04.2024

Kunst

Akademie-Präsidentin gegen Antisemitismus-Klausel

»Wir haben ein gutes Grundgesetz, wir müssen uns nur daran halten«, sagt Jeanine Meerapfel

 19.04.2024

Jehuda Amichai

Poetische Stimme Israels

Vor 100 Jahren wurde der Dichter in Würzburg geboren

von Daniel Staffen-Quandt  19.04.2024

Antisemitismus

Zentralrat der Juden äußert sich zu Hallervordens Gaza-Video

Das Gaza-Gedicht des Schauspielers wurde in den vergangenen Tagen massiv kritisiert

 19.04.2024

Streaming

»Bros«: Zwei Trottel, eine Bar

Die erste rein hebräischsprachige und israelische Original-Produktion für Netflix ist angelaufen

von Ayala Goldmann  18.04.2024

Interview

»Deutschland ist eine neurotische Nation«

Bassam Tibi über verfehlte Migrationspolitik, Kritik an den Moscheeverbänden und Ansätze für islamische Aufklärung

von Christoph Schmidt  18.04.2024

Verschwörungstheorien

Nach viel kritisiertem Israel-Hass-Video: Jetzt spricht Dieter Hallervorden

Der Schauspieler weist die Kritik an seiner Veröffentlichung zurück

 18.04.2024

Venedig

Israelhasser demonstrieren bei Kunstbiennale

Die Demonstranten forderten einen Boykott israelischer Künstler

 18.04.2024

Klassik

Eine Liebeserklärung an die Mandoline

Der israelische Musiker Avi Avital verleiht Komponisten wie Bach oder Vivaldi einen unverwechselbaren neuen Touch

von Christine Schmitt  18.04.2024