Glosse

Der Rest der Welt

Foto: Getty Images

Glosse

Der Rest der Welt

Wie mir Amazon den Synagogenbesuch erschwert

von Beni Frenkel  13.08.2022 22:10 Uhr

Moische Glick, nein, so heißt er natürlich nicht. Seinen wahren Namen will ich nicht verraten. Aus Angst. Moische Glick lebt in Zürich und hat sieben Kinder. Er ist streng religiös. Was er genau arbeitet, weiß ich nicht. Er hat mir immer gesagt: »Ich lerne den ganzen Tag.«

Ich bin auf Moische Glick gestoßen, weil er ein Inserat aufgegeben hat: »Verkaufe Tefillin zu Beste Preise in Stadt.« Das holprige Deutsch hat mir gefallen. Außerdem benötigte ich unbedingt neue Tefillin, also Gebetsriemen aus Leder, die man sich jeden Morgen beim Gebet anschnallen muss.

tefillin Seit meiner Barmizwa mache ich das. Also seit über 32 Jahren. Meine Tefillin sind bereits mehrere Male auf den Boden gefallen. Einmal lief ich mit ihnen gegen die Wand. Das Leder ist schon brüchig. Kurzum: Meine Tefillin sind nicht mehr koscher.

Ich rief Glick an und wollte wissen, was »Beste Preise in Stadt« bedeutet. Natürlich bekam ich nicht gleich eine Antwort. Moi­sche Glick wollte zuerst wissen, wer ich bin und woher ich stamme. Mit wem ich verheiratet bin, was ich arbeite und ob ich regelmäßig in die Synagoge gehe.

Nach einer Viertelstunde sagte mir Glick: »Rebbe Frenkel, normalerweise verlange ich 1800 Franken. Für Sie mache ich einen Spezialpreis: 1500 Franken. Verdienen tu’ ich daran nichts. Aber das ist mir egal.«

whatsapp Ich war tief beeindruckt. Ich dankte ihm überschwänglich und gelobte, wieder häufiger in die Synagoge zu gehen. Dann lief drei Monate nichts mehr. Irgendwann erhielt ich eine WhatsApp-Nachricht von ihm: »Bin in Israel. Morgen ich nehme die Tefillin nach Zürich. Kol Tuv.«

Ich bin auf Moische Glick gestoßen, weil er ein Inserat aufgegeben hat: »Verkaufe Tefillin zu Beste Preise in Stadt.«

Dann wieder Wochen ohne Nachricht. Irgendwann vergaß ich die Sache. Auf Amazon bestellte ich Tefillin für 500 Dollar. Der Händler schrieb: »Das tefillin Set ist der am meisten Basic Ebene Qualität.« Auch dieses holprige Deutsch gefiel mir, aber noch mehr der Preis.

Wieder zogen ein paar Monate ins Land. Letzte Woche erhielt ich einen Anruf von Moische Glick. Die Tefillin seien nun in Zürich. »Rebbe Frenkel, kann ich Sie heute Abend treffen?«

konkurrent Mir fiel das Handy fast aus der Hand, Was soll ich nur tun? Dieser fromme Jude, der nichts an den teuren Tefillin einnimmt, will mich besuchen kommen. Ich rang nach Worten. »Ich habe nach langem Warten Tefillin von Amazon gekauft.« Jetzt rang Glick nach Worten. Wer Amazon war, wusste er nicht, vielleicht ein Konkurrent von der anderen Gemeinde?

Er schrie mich an. Ich hätte ihm jetzt ein gutes Business versaut. Außerdem habe er sieben Kinder. Seitdem herrscht knisternde Stille. Aus Sicherheitsgründen gehe ich nicht mehr in die Synagoge.

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  10.11.2025

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Marbach am Neckar

Schillerrede: Soziologin Illouz vergleicht Trump mit »König Lear«

Statt Selbstbeweihräucherung empfiehlt die Soziologin Eva Illouz in der Schillerrede 2025 den Zweifel und das Zuhören - nur das helfe aus der eigenen Echokammer heraus

 10.11.2025

Gespräch

Warum Uschi Glas bei Antisemitismus nicht schweigen will

Uschi Glas spricht mit Charlotte Knobloch über Schweigen und Verantwortung in Zeiten eines wachsenden Antisemitismus. Und entdeckt ein unbekanntes Kapitel in ihrer Familiengeschichte

 10.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Friede, Freude, Eierkuchen oder Challot, koschere Croissants und Rugelach

von Margalit Edelstein  09.11.2025

Geschichte

Seismograf jüdischer Lebenswelten

Das Simon-Dubnow-Institut in Leipzig feiert den 30. Jahrestag seiner Gründung

von Ralf Balke  09.11.2025

Erinnerung

Den alten und den neuen Nazis ein Schnippchen schlagen: Virtuelle Rundgänge durch Synagogen

Von den Nazis zerstörte Synagogen virtuell zum Leben erwecken, das ist ein Ziel von Marc Grellert. Eine Internetseite zeigt zum 9. November mehr als 40 zerstörte jüdische Gotteshäuser in alter Schönheit

von Christoph Arens  09.11.2025

Theater

Metaebene in Feldafing

Ein Stück von Lena Gorelik eröffnet das Programm »Wohin jetzt? – Jüdisches (Über)leben nach 1945« in den Münchner Kammerspielen

von Katrin Diehl  09.11.2025