Glosse

Der Rest der Welt

Tanzen, singen, feiern – der Spirit der Jewrovision Foto: Chris Hartung

Die Jewrovision, das größte und spektakulärste Ereignis für die jüdische Jugend in Deutschland, ein Mega-Event – was für ein frustrierender Gedanke für mich. Warum in aller Welt war ich nie dabei? Verärgert denke ich an meine ehemalige Religionslehrerin, die in meiner kleinen Heimatgemeinde in Hessen auch eine Art Madricha war: Warum, Aviva!?

Dann dämmert es mir. Keiner der sechs oder sieben jüdischen Jugendlichen in meinem Alter – ganz besonders ich nicht – war ein nennenswertes Tanz- oder Gesangstalent. Die großartige Aviva tat immer ihr Bestes, um uns bei der Stange zu halten. Aber monatelang für eine große Bühnen-Show proben? Mit uns nicht. Nun sollte ich also als Journalist über das jüdische Großevent berichten. Meine erste Jewrovision – mit 29.

Kreisch Ich muss gestehen, anfangs sah ich dieser Aufgabe etwas reserviert entgegen. 1000 Minderjährige – viele durch wiederholte Teilnahme an Machanot »radikalisiert« – singend, kreischend, rennend und tanzend in den Gängen und Sälen des riesigen Estrel-Hotels in Berlin? Dafür fühlte ich mich zu alt und gesetzt.

Doch kaum kommt mir das laute Teenager-Geschnatter entgegen, das »Scheket Bewakascha« der Madrichim, der Duft von Capri-Sonne und Bamba, setzt sich in meinem Kopf ein unerhörter Wunsch fest: ausnahmsweise für ein paar Tage 15 Jahre jünger und eineinhalb Köpfe kleiner sein. Ich reiße mich zusammen, schließlich bin ich beruflich hier.
Während des großen Wettbewerbs merke ich dann doch, wie wenig ich dazugehöre.

Die Songs, die bei den Performances gecovert werden, habe ich höchstens einmal zufällig im Radio gehört. Titel oder Interpret fallen mir beim besten Willen nicht ein. Und beim Auftritt von »Static & Ben El« versagt meine popkulturelle Kompetenz endgültig. Alle singen mit, während ich auf meinem Smartphone nachlese, dass es sich bei dem Act wohl um das (!) Duo in Israel handelt. Wie ein alter Onkel lächele ich gütig – glücklich ob der Euphorie der jungen Menschen, die sich mir nicht erschließt.

Rabbiner? Bei der Hawdala allerdings schöpfe ich dann wieder Hoffnung: Diese Lieder kenne ich! Außerdem habe auch ich einige Machane-Erfahrung. Mit Tränen in den Augen fange ich beim »Laleilalalaleila« mit den anderen an, hin- und herzuwiegen. Beim kollektiven »Amen!« fasse ich mir vor Rührung und Aufregung unwillkürlich ins Gesicht – ein Bart! Halten mich die Kids in meiner Umgebung möglicherweise sogar noch für einen Rabbiner?

Noch einmal ermahne und erinnere ich mich selbst daran, für welche Aufgabe ich eigentlich hier bin, und stelle fest: Meine Jewrovision-freie Jugend kann ich hier nicht nachholen – aber einmal dabei gewesen zu sein, das kann auch ich jetzt von mir behaupten!

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 28. August bis zum 4. September

 27.08.2025

Sachbuch

Die Gruppe 47, Günter Grass und die ersten »Shitbürger«

»WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt rechnet in seinem neuen Bestseller »Shitbürgertum« auch mit der Kontinuität des deutschen Judenhasses ab. Ein exklusiver Auszug

von Ulf Poschardt  27.08.2025

Filmfestspiele

Gal Gadot wird zur Hassfigur in Venedig

In einem offenen Brief verlangen 1500 Unterzeichner die Ausladung der israelischen Schauspielerin von den Filmfestspielen. Doch die hatte offenbar nie die Absicht, nach Venedig zu kommen

von Nicole Dreyfus  27.08.2025

Atlanta

Woody Allen verteidigt Auftritt bei Moskauer Filmfestival

In einem CNN-Interview legt der Regisseur und Schauspieler dar, warum er an dem russischen Event teilnahm

 27.08.2025

Essay

Übermenschlich allzumenschlich

Künstliche Intelligenz kann Großartiges leisten. Doch nicht zuletzt die antisemitischen Ausfälle von Elon Musks Modell »Grok« zeigen: Sie ist nicht per se besser als ihre Schöpfer. Ein alter jüdischer Mythos wirft Licht auf dieses Dilemma

von Joshua Schultheis  27.08.2025

Archäologie

Vorform der Landwirtschaft: Steinsicheln für die Getreideernte

Funde aus einer Höhle in Zentralasien stellen Annahmen zur Entstehung der Landwirtschaft infrage. Offenbar liegen deren Ursprünge nicht nur in der Region Vorderasien, die auch das heutige Israel umfasst

von Walter Willems  26.08.2025

Digital

Initiative von Heidelberger Hochschule: Neuer Podcast zum Judentum

»Jüdische Studien Heute« als Podcast: Das neue Angebot der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg will alle zwei Wochen Forschungsthemen aufgreifen und Einblicke in die jüdische Lebenswelt bieten

von Norbert Demuth  26.08.2025

Zahl der Woche

1902

Fun Facts und Wissenswertes

 26.08.2025

TV-Tipp

»Barbie« als TV-Premiere bei RTL: Komödie um die legendäre Puppe

Im ersten Realfilm der 1959 von Ruth Handler erfundenen Puppe ist Barbieland eine vor Künstlichkeit nur so strotzende Fantasie

von Michael Kienzl  26.08.2025