Finale

Der Rest der Welt

Nicht zu singen, ist das neue Singen. Foto: Getty Images

Ich versuche gerade, meinen Sohn auf die Barmizwa vorzubereiten. Ich tue dies in Ermangelung eines fähigen Unterrichtslehrers. Wir hatten schon zwei angeheuert. Der eine schlief, der andere kam immer zu spät. Jetzt liegt alles an mir.

Er sitzt neben mir. Beide haben wir den Chumasch aufgeschlagen. Meine Frau und ich wollen, dass er an seinem 13. Geburtstag aus der Tora vorsingt. Sein Wochenabschnitt enthält 120 Sätze. Wir arbeiten immer noch am ersten. Seit Monaten singe ich ihm den Satz vor: »Schoftim weschotri-i-i-im, titen lecha« und so weiter. Oder auf Deutsch: »Richter und Gele-e-e-ehrte sollt ihr einsetzen« und so weiter.

Musik Mein Sohn ist gescheit. In Mathematik ist er der Beste, in Deutsch zählt er zum oberen Drittel. Er kann auch einen Computer auseinanderbauen, aber in Musik ist er eher im unteren Zehntel anzutreffen. Und Lust hat er schon gar nicht, mit mir zu singen.

120 Sätze liegen noch vor uns. Ich sage ihm stets, dass die anderen 119 Verse einfacher werden, sobald der erste sitzt. Das ist natürlich eine Lüge. Jeder jüdische Junge muss durch dieses Tal der Tränen und Wutanfälle schreiten, bevor er die vielen Geschenke zur Barmizwa erhält.

»Schoftim weschotri-i-i-im.« Ich habe leider keine schöne Stimme. Das macht alles nicht einfacher. Die Katze erschrickt, wenn ich singe. Der Junge hält die erste Minute tapfer durch, dann kämpft er mit den Tränen. Er will mir nicht nachsingen und auch nicht gucken, wo wir gerade im Chumasch halten.

Showtime Manchmal träume ich schlecht. Ich sehe mich dann in der Synagoge. Links der gütig lächelnde Rabbiner, rechts der missmutig dreinschauende Junge. Die Tora wird ausgerollt. Showtime! Mein Sohn guckt kurz auf die Pergamentrolle und rennt aus dem Gotteshaus.

Dann wache ich schweißgebadet auf. Am Morgen gucke ich ihn beim Frühstück ängstlich an. Seit ein paar Tagen befindet er sich mitten im Stimmbruch. Wenn er redet, hört sich das an, wie wenn ich singe. »Das bringt doch nichts«, sage ich zuerst zu mir und dann zu meiner Frau. Wir lassen seine Barmizwa zwar nicht ausfallen, aber überspringen das Gekrächze in der Synagoge.

Der Rabbi wird wahrscheinlich nicht so viel Freude daran haben. Mir egal, soll er halt vorsingen: »Schoftim weschotri-i-i-im« und so weiter.

TV-Tipp

Ein äußerst untypischer Oligarch: Arte-Doku zeigt Lebensweg des Telegram-Gründers Pawel Durow

Der Dokumentarfilm »Telegram - Das dunkle Imperium von Pawel Durow« erzählt auf Arte und in der ARD-Mediathek die Geschichte der schwer fassbaren Messengerdienst-Plattform-Mischung und ihres Gründers Pawel Durow

von Christian Bartels  24.11.2025

Nachruf

Das unvergessliche Gesicht des Udo Kier

Er ritt im Weltall auf einem T-Rex, spielte für Warhol Dracula und prägte mit einem einzigen Blick ganze Filme. Udo Kier, Meister der Nebenrolle und Arthouse-Legende, ist tot. In seinem letzten Film, dem Thriller »The Secret Agent«, verkörpert er einen deutschen Juden

von Christina Tscharnke, Lisa Forster  24.11.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  24.11.2025

Nürnberg

»Tribunal 45«: Ein interaktives Spiel über die Nürnberger Prozesse

Darf man die Nürnberger Prozesse als Computerspiel aufarbeiten? Dieses Spiel lässt User in die Rolle der französischen Juristin Aline Chalufour schlüpfen und bietet eine neue Perspektive auf die Geschichte

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Sderot

Zweitägiges iranisches Filmfestival beginnt in Israel

Trotz politischer Spannungen will das Event einen Dialog zwischen Israelis und Iranern anstoßen

von Sara Lemel  24.11.2025

Genetik

Liegt es in der Familie?

Eierstockkrebs ist schwer zu erkennen. Warum ein Blick auf den Stammbaum nützen kann

von Nicole Dreyfus  23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Ayala Goldmann  23.11.2025

Aufgegabelt

Linsenpfannkuchen von König David

Rezept der Woche

von Jalil Dabit, Oz Ben David  22.11.2025