Glosse

Der Rest der Welt

Klassiker von Helmut Dietl: der Film »Schtonk« aus dem Jahr 1992 Foto: imago/Prod.DB

Glosse

Der Rest der Welt

Warum ich mir noch einmal »Schtonk!« angesehen habe

von Beni Frenkel  25.07.2019 15:04 Uhr

Vor vielen Jahren – ich war noch ein Kind – habe ich im Keller die Briefmarkensammlung meiner Mutter entdeckt. Es handelte sich um scheinbar wertlose Briefmarken. Viele stammten aus der Schweiz, ein paar aus Finnland, Russland, Österreich und etwa ein Dutzend aus dem Deutschen Reich.

Die Briefmarken des Führers sahen aus wie eine Packung M&M’s: Adolf Hitler in Rot, Braun, Grün, Violett. Ich nahm die Briefmarken aus dem Album und zerschnitt sie in 1000 kleine Teile.

Ich fühlte mich in diesem Moment wie Simon Wiesenthal. Meiner Mutter erzählte ich von der heroischen Tat trotzdem nichts.

Briefmarken Erst später erfuhr ich, dass mein Zerstörungsakt nicht sonderlich klug war. Es gibt nämlich Hitler-Briefmarken, die sind mehr als 100 Euro wert.

Vor ein paar Monaten starb der Vater einer guten Freundin meines besten Freundes. Die Verwandtschaft entdeckte den Toten auf dem Boden. Neben ihm lag eine Pistole, mit seiner rechten Hand umklammerte er fest Mein Kampf.

Dabei handelte es sich um die Erstausgabe. Der Freundin meines besten Freundes war das sehr peinlich. Sie wusste nichts von dieser Nebenbeschäftigung und Sammelleidenschaft ihres Vaters. Was tun? Die Pistole entsorgte sie im Abfall, aber wohin mit Hitlers Erstausgabe? Das Buch hat ja einen historischen Wert. Sie erkundigte sich bei mehreren Museen in der Schweiz: »Darf ich Ihnen Hitlers Mein Kampf kostenlos zuschicken?«

FIFA-Museum Aber die angefragten Institute winkten alle ab. Weder das Botanische Museum, das FIFA-Museum noch das Landesmuseum wollten das Buch in einer Vitrine ausstellen.

Sie klagte meinem besten Freund ihr Leid. Noch am gleichen Abend erhielt ich einen Anruf: »Beni, wolltest du nicht schon immer Hitlers Hauptwerk besitzen?« Ich atmete schwer. Ich habe in den vergangenen 20 Jahren eine Sammlung von etwa 10.000 jüdischen Büchern aufgebaut. Jüdische Kochbücher, jüdische Witzbücher, jüdische Sportbücher, jüdische Gebetbücher.

Ich wollte schon immer Mein Kampf neben all die jüdischen Bücher stellen – gibt es ein stärkeres Zeichen, dass das jüdische Volk unzerstörbar ist? Der Wunsch scheiterte aber immer am Geld und den geltenden Gesetzen. Das Originalbuch gibt’s ja zum Glück nicht bei Thalia zu kaufen.

Film Nächste Woche darf ich das Buch abholen. Bei der Tochter des Erschossenen. Zu sagen, ich sei nervös, ist eine Untertreibung. Gott, ich zittere jetzt schon! Zur Vorbereitung des Treffens habe ich den Film Schtonk! noch einmal angeguckt. Hoffentlich klappt alles.

Kino

»Fast ein Wunder«

Das israelische Filmfestival »Seret« eröffnete in Berlin mit dem Kassenschlager »Cabaret Total« von Roy Assaf

von Ayala Goldmann  20.11.2025

»Jay Kelly«

In seichten Gewässern

Die neue Tragikomödie von Noah Baumbach startet fulminant, verliert sich dann aber in Sentimentalitäten und Klischees

von Patrick Heidmann  20.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  20.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  20.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. November bis zum 27. November

 20.11.2025

»Lolita lesen in Teheran«

Klub der mutigen Frauen

Der Israeli Eran Riklis verfilmt die Erinnerungen der iranischen Schriftstellerin Azar Nafisi an geheime Literaturtreffen in Teheran – mit einem großartigen Ensemble

von Ayala Goldmann  20.11.2025

Ausstellung

Sprayende Bildhauerin mit Geometrie

Das Museum Wiesbaden zeigt Werke Louise Nevelsons und eines Künstlerpaares

von Katharina Cichosch  20.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025