Finale

Der Rest der Welt

Flecken waren gestern Foto: Getty Images / istock

Jeden Freitagabend sitzt meine Familie am festlich gedeckten Schabbattisch. Ich hingegen stehe. Ich mache »Kiddusch«: In meiner rechten Hand halte ich den versilberten Becher. Er ist randvoll mit Traubensaft gefüllt.

Das – so sagen unsere Weisen – bringe Segen für die ganze Woche. Ich sage den Segensspruch über den Becher. Wie gesagt, er ist bis oben mit Saft gefüllt. Ich registriere das Zittern meiner rechten Hand und das Augenrollen meiner Frau. Die Kinder zählen die Tropfen, die auf das Tischtuch fallen.

Ärger Wenn ich fertig bin mit dem Segensspruch, gieße ich den Traubensaft von meinem Becher in die kleinen Becher der Kinder. Das gibt natürlich wieder eine Schweinerei. An schlechten Tagen ist das ganze Tischtuch rot verfärbt. Dabei haben wir noch gar nicht mit dem Essen begonnen. Das ärgert mich natürlich auch. Nicht nur meine Frau.

Dazu kommt, dass meine Kinder und ich den koscheren Traubensaft nicht mehr ausstehen können. Ich habe schon alle Traubensäfte gekostet: Kedem, Rashi, Bartenura, Hafner und so weiter. Entweder sind sie zu süß, oder sie schmecken chemisch verändert. Ich sage dann immer: »Bäh!« Und auch die Kinder sagen: »Bäh!«. Meine Frau schimpft: »Hört auf!« Eigentlich sollte der Kiddusch etwas Erhabenes sein. Ich will ja, dass die Kinder irgendwie »jüdisch bleiben« und rührselige Kindheitserinnerungen mit dem Kiddusch in Verbindung bringen. Doch das will mir nicht gelingen.

Seit einigen Monaten schmeckt der Traubensaft noch unangenehmer. Die armen Kinder sehen, wie ich leide. Ich muss nämlich den größten Teil des Traubensafts austrinken. So wollen es unsere Weisen. Die Kleine – sie ist fünf – ängstigt sich immer wieder, wenn sie mein verzerrtes Gesicht sehen muss.

YouTube Es war also klar, dass sich etwas ändern muss. Und ich bin da auf eine tolle Idee gekommen: Ich mache den Traubensaft selbst!

Auf YouTube habe ich ein paar Videos geguckt. Ich ging raus und kaufte drei Kilogramm Trauben. Die habe ich gekocht, abgegossen und wieder gekocht. Das machte mir großen Spaß!
Und tatsächlich: Auch der Kiddusch wurde bei uns heiliger! Zugegeben: Der Saft schmeckt jetzt nicht himmlisch gut, aber schon viel besser als die importierten Flaschen aus Israel oder Amerika.

Und da ich nur helle Trauben kaufe, darf ich den Kidduschbecher so halten, als wäre er ein Schlagbohrer. Die Flüssigkeit, die ich jetzt verschütte, ist ja nicht mehr rot, eher pippigelb.
Und die Weisen haben recht mit ihrem Heilsversprechen: Ich spare mit dem selbst gemachten Traubensaft pro Schabbat etwa zwei Euro. Das Geld investiere ich unter der Woche in Bier! Bier könnte ich eigentlich auch einmal selbst brauen.

Berlin

Neue Nationalgalerie zeigt, wie Raubkunst erkannt wird

Von Salvador Dalí bis René Magritte: Die Neue Nationalgalerie zeigt 26 Werke von berühmten Surrealisten. Doch die Ausstellung hat einen weiteren Schwerpunkt

von Daniel Zander  17.10.2025

Theater

K. wie Kafka wie Kosky

Der Opernregisseur feiert den Schriftsteller auf Jiddisch – mit Musik und Gesang im Berliner Ensemble

von Christoph Schulte, Eva Lezzi  17.10.2025

Frankfurter Buchmesse

Schriftsteller auf dem Weg zum Frieden

Israelische Autoren lesen an einem Stand, der ziemlich versteckt wirkt – Eindrücke aus Halle 6.0

von Eugen El  17.10.2025

Kino

So beklemmend wie genial

Mit dem Film »Das Verschwinden des Josef Mengele« hat Kirill Serebrennikow ein Meisterwerk gedreht, das kaum zu ertragen ist

von Maria Ossowski  17.10.2025

Meinung

Entfremdete Heimat

Die antisemitischen Zwischenfälle auf deutschen Straßen sind alarmierend. Das hat auch mit der oftmals dämonisierenden Berichterstattung über Israels Krieg gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas zu tun

von Philipp Peyman Engel  16.10.2025

Esther Abrami

Die Klassik-Influencerin

Das jüngste Album der Französin ist eine Hommage an 14 Komponistinnen – von Hildegard von Bingen bis Miley Cyrus

von Christine Schmitt  16.10.2025

Berlin

Jüdisches Museum zeichnet Amy Gutmann und Daniel Zajfman aus

Die Institution ehrt die frühere US-Botschafterin und den Physiker für Verdienste um Verständigung und Toleranz

 16.10.2025

Nachruf

Vom Hilfsarbeiter zum Bestseller-Autor

Der Tscheche Ivan Klima machte spät Karriere – und half während der sowjetischen Besatzung anderen oppositionellen Schriftstellern

von Kilian Kirchgeßner  16.10.2025

Kulturkolumne

Hoffnung ist das Ding mit Federn

Niemand weiß, was nach dem Ende des Krieges passieren wird. Aber wer hätte zu hoffen gewagt, dass in diesen Zeiten noch ein Tag mit einem Lächeln beginnen kann?

von Sophie Albers Ben Chamo  16.10.2025