Finale

Der Rest der Welt

Manchmal hilft eben doch nur Google. Foto: Thinkstock

Tagelang mehr als 30 Grad, nachts kaum Abkühlung – und dann auch noch die Redaktion, die mir im Nacken sitzt. Bei dieser drückenden Hitze will mir absolut kein witziges Thema einfallen. Das Ganze wird verschärft dadurch, dass es hier – anders als in Israel – keine Klimaanlagen und weit und breit keine Aussicht aufs Meer gibt. Auch Limonana bekommt man nirgendwo. Und die deutsche Rhabarberschorle? Nur ein müder Abglanz.

Durststrecke also – auch an der jüdischen Themenfront. Ich bin überzeugt davon, dass sich das Sommerloch durch die ungewöhnlichen Temperaturen um einige Wochen nach vorne verlagert hat. Antisemitismus als Dauerbrenner eignet sich nun mal nur bedingt für Humor. Und ein größerer Feiertag ist bis September auch nicht in Sicht, was ich ausnahmsweise ausgesprochen schade finde.

weltverschwörung Wie so oft, wenn ich mir über Probleme den Kopf zermartere, rief ich auch jetzt in der Verzweiflung meinen Vater an. Er weiß ohnehin immer alles besser. Und prompt erklärte der mir aufmunternd, das sei gar kein Problem. Alle Themen seien irgendwie jüdische. Sie wissen ja, Weltverschwörung und so. Also begann er mit einem Update über die politische Lage: Trumps Strafzölle und dieses Söder-Kreuz-Theater in Bayern.

Was daran jüdisch sei, fragte ich. Na, das könne etwas mit Antisemitismus zu tun haben. Und überhaupt, vielleicht solle man überall Da­vidsterne aufhängen. Dann kam er vom Hundertsten ins Tausendste. Die »Datenschmutzgrundverordnung« sei ei­ne abso­lute Katastrophe, er bekomme jetzt noch mehr E-Mails von Firmen, mit denen er eigentlich nichts zu tun haben wolle.

Und ob ich nicht den Artikel gelesen hätte, von diesem »Yaron oder Yalom oder so«, der meine, das Problem mit dem Internet sei, dass es kostenlos ist. »Verstehst du, Naomili?«, hakte er nach. »Das war solch ei­ne Mezie, dass alle gedankenlos mitgemacht haben.« Nach einem 15-minütigen Monolog darüber, was in der Welt – und insbesondere im World Wide Web – alles falsch läuft, fragte er erwartungsvoll: »Nu, was meinst du?«

oma »Nichts passt so richtig«, erwiderte ich. Also zog er die Familien-Karte. Meine Oma ist gerade im Krankenhaus, müssen Sie wissen. Wer uns fragt, ob es ernst ist, dem erklären wir: für die Ärzte und Pfleger ja! Die haben nämlich – O-Ton Oma – fast ausnahmslos keine Ahnung. Und Besuch bekomme sie sowieso nie (außer von ihrem Sohn, aber höchstens dreimal die Woche). Und vom Herrn Professor ... und dieser netten jungen Ärztin. Aber sonst von niemandem, wirklich!

Auch mein Opa hat es gerade schwer. Im Altenheim hat der Blitz eingeschlagen, seitdem gibt‘s kein Internet mehr. Stellen Sie sich vor! Wie soll er jetzt all die E-Mails seiner russischen Verflossenen beantworten, die ihm erklären, dass sie dringend Geld brauchen? Und auch sonst auf dem Laufenden bleiben?

Als ich auch auf dieses Thema nicht anspringen wollte, verlor mein Vater die Nerven: »Na, dann google eben ›Chuzpe‹, da findest du bestimmt etwas.« Guter Vorschlag. Vielleicht komme ich demnächst darauf zurück.

Glosse

Der Rest der Welt

Friede, Freude, Eierkuchen oder Challot, koschere Croissants und Rugelach

von Margalit Edelstein  09.11.2025

Geschichte

Seismograf jüdischer Lebenswelten

Das Simon-Dubnow-Institut in Leipzig feiert den 30. Jahrestag seiner Gründung

von Ralf Balke  09.11.2025

Erinnerung

Den alten und den neuen Nazis ein Schnippchen schlagen: Virtuelle Rundgänge durch Synagogen

Von den Nazis zerstörte Synagogen virtuell zum Leben erwecken, das ist ein Ziel von Marc Grellert. Eine Internetseite zeigt zum 9. November mehr als 40 zerstörte jüdische Gotteshäuser in alter Schönheit

von Christoph Arens  09.11.2025

Theater

Metaebene in Feldafing

Ein Stück von Lena Gorelik eröffnet das Programm »Wohin jetzt? – Jüdisches (Über)leben nach 1945« in den Münchner Kammerspielen

von Katrin Diehl  09.11.2025

Aufgegabelt

Mhalabi-Schnitzel

Rezepte und Leckeres

 09.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  09.11.2025

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  08.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  08.11.2025

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025