Finale

Der Rest der Welt

Seit sich herumgesprochen hat, dass ich jetzt in Antwerpen wohne, werde ich von meinen zahlreichen Singlecousinen,- freundinnen und -bekannten zugemülllt mit Schidduch-Bestellungen. Sie alle wollen sich einen hejmischen und gutbetuchten Antwerpener Bocher angeln. Aber das ist nicht so einfach, vor allem wenn die heißen Tipps zur Junggesellenjagd von meinem Mann Alain und seinen Kumpels kommen. Neulich haben sie mir zum Beispiel Jankl von der Kosher King Fleischerei empfohlen. Jankl, das klingt süß! Ich also zu Kosher King. Dort steht mir ein 100-Kilo-Koloss im blutbeflecktem Kittel gegenüber. »Farwus«, grölt er und richtet seine blutunterlaufenen Augen auf mich. Ich schlucke und beschließe, mein Schidduch-Ansuchen lieber doch nicht zu erwähnen. Stattdessen verlange ich stammelnd ein halbes Pfund Gehacktes und flüchte.

schadchen Vielleicht ist es doch besser, sich in professionelle Hände zu begeben. Also suche ich das Schadchen-Büro Genendel auf. In einem verstaubten Büro mustert mich Genendel mit blinzelnden Vogelaugen und stemmt zwei Folianten von ihrem Regal, einen roten und einen blauen. Fotos von Bocherim, sehe ich gleich mit Kennerblick. Die Kandidaten im roten Ordner haben alle eines gemeinsam: kohlehydratreiche Ernährung und eine tiefsitzende Abneigung gegen Bewegung jeglicher Art.

Schüchtern frage ich nach dem anderen Ordner. Sind da die gut aussehenden Bocherim drin? Genendel richtet sich auf, stützt sich mit einer dürren Hand in ihre mickrige Taille und klopft mit der anderen auf die Gegend ihrer mageren Hüftknochen:«Si megen nischt saijn asoy saftig!«, zischt sie mir giftig ins Gesicht. Saftig? Heißt das nicht soviel wie moppelig? Wer, ich? Ich versuche Genendel aufzuklären, dass ich nicht für mich selbst auf der Suche bin, sondern für meine allesamt gertenschlanken Freundinnen. »Asoy din vi a schtick?«, versuche ich es in holprigem Jiddisch. »Flach vi ajn Bretl?« Gendendel zischt irgendwas Unfreundliches auf Jiddisch – ich verstehe nur das Wort »Bubbe Meises« – und verweist mich mit einem langen dürren Zeigefinger des Raumes.

start-up Seither überlege ich, ob es nicht besser wäre, von der Nachfrage- auf die Angebotsseite des Marktes zu wechseln. Statt nach Männern zu suchen, könnte ich mein eigenes Schidduch- Start-up zu Hause einrichten. Die Fotos und Mailadressen meiner allesamt gut aussehenden Freundinnen würde man mir aus der Hand reißen. Ständig stünden Schlangen von Jeschiwebocherim vor der Tür. Und in der Gemeinde könnte ich mit einem Status-Upgrade rechnen. Dankbare frischgebackene Schwiegermütter würden Obst, Schokolade und Blumen schicken, in den Koscher-Shops hätte ich unbegrenzt Kredit, ich bekäme VIP-Tickets zu allen Mordechai-Ben-David-Konzerten und natürlich Hochzeitseinladungen noch und nöcher. Your-shidduch.com werde ich mein Start-up nenne. Besuchen Sie mich doch mal auf Facebook!

Literatur

Leichtfüßiges von der Insel

Francesca Segals Tierärztin auf »Tuga«

von Frank Keil  21.10.2024

Berlin

Jüdisches Museum zeigt Oppenheimers »Weintraubs Syncopators«

Es ist ein Gemälde der Musiker der in der Weimarer Republik berühmten Jazzband gleichen Namens

 21.10.2024

Europa-Tournee

Lenny Kravitz gibt fünf Konzerte in Deutschland

Der Vorverkauf beginnt am Mittwoch, den 22. Oktober

 21.10.2024

Geistesgeschichte

Entwurzelte Denker

Steven Aschheim zeigt, wie deutsch-jüdische Intellektuelle den Herausforderungen des 20. Jahrhunderts begegneten

von Jakob Hessing  21.10.2024

Heideroman

Wie ein Märchen von Wölfen, Hexe und Großmutter

Markus Thielemann erzählt von den Sorgen und Ängsten eines jungen Schäfers in der norddeutschen Provinz

von Tobias Kühn  21.10.2024

Nachruf

Mentor und Mentsch

Hannah M. Lessing erinnert sich an den verstorbenen israelischen Holocaust-Forscher Yehuda Bauer

von Hannah M. Lessing  21.10.2024

Sam Sax

Apokalyptisch in New York

Der queere Coming-of-Age-Roman »Yr Dead« beschreibt eine Selbstverbrennung

von Katrin Diehl  20.10.2024

Tatort

Alte Kriegsverbrechen und neue Zivilcourage

Im neuen Murot-»Tatort« findet ein Kriminalfall im Zweiten Weltkrieg in die Gegenwart. Und Hauptdarsteller Ulrich Tukur treibt doppeltes Spiel

von Andrea Löbbecke  20.10.2024

Buchmesse

Friedenspreis des deutschen Buchhandels für Anne Applebaum

Als die Historikerin Anne Applebaum in Frankfurt mit dem Buchhandels-Friedenspreis geehrt wurde, richtete sie einen dramatischen Appell an die Welt

von Christiane Laudage, Christoph Arens, Volker Hasenauer  20.10.2024