Finale

Der Rest der Welt

Ich muss etwas beichten, auch wenn das so im Judentum eigentlich eher unüblich ist und jeder seine Sünden lieber ganz privat mit Gott bespricht, am liebsten ungefähr einen Tag vor Jom Kippur. Von Schawuot habe ich, bevor ich mit 16 Jahren nach Israel zog, noch nie etwas gehört!

Zugegeben, mein Horizont der jüdischen Feiertage reichte noch nicht mal über die üblichen Verdächtigen hinaus: Pessach, Jom Kippur, Chanukka und Rosch Haschana. Gut, von Simchat Tora hatte ich zumindest schon mal gehört. Aber Schawuot? Jetzt mal ehrlich: Das ist doch das schwarze Schaf unter den jüdischen Feiertagen.

Tel Aviv Dass es allerdings einmal einer meiner liebsten Feiertage werden würde, hätte ich nicht gedacht: In Israel besuchte ich mit meinem Freund regelmäßig seine sehr religiöse Verwandtschaft in Tel Aviv zu Schabbat und anderen Feiertagen. Als sie uns zu Schawuot einluden, dachte ich, dass sie noch viel religiöser sind, als ich bisher angenommen hatte: Immerhin feierten sie Schawuot. SCHAWUOT!

Obwohl Dorit und Schmuel zwei herzensgute Menschen sind, durchstand ich vor jedem Besuch bei ihnen schreckliche Ängste: War mein Rock auch lang genug? Mein Ausschnitt nicht zu tief? Noch mehr Angst als vor Schmuels kritischem Blick hatte ich jedoch vor etwas anderem: Mein ganz spezieller Angstfaktor am Freitagabend war Dorits Tscholent.

Dorit ist eine jüdische Hausfrau par excellence und ihr Tscholent besser als jede Narkose. Meine Versuche, ihm zu entrinnen, vereitelte sie, als geübte Anästhesistin, jedes Mal geschickt. Und so landete Freitagabend immer eine Portion Tscholent auf meinen Teller, so groß und nahrhaft, dass man damit wohl Israels gesamte Armee auf einmal sättigen könnte. Wie jeder, der schon einmal Tscholent gegessen hat, weiß, kann man sich danach für einige Stunden überhaupt nicht bewegen.

Fleisch An Schawuot erwartete ich also, dass Dorit einen extragroßen, extrabetäubenden Riesen-Tscholent zaubern würde. Ich sah es schon vor mir: Statt die ganze Nacht zu lernen, würde ich noch nicht einmal die dünnen Seiten des Tanachs umblättern können. Doch als wir die Wohnung betraten, strömte uns ein Geruch von frischem Käsekuchen entgegen. »Kein Tscholent heute?«, fragte ich Dorit vorsichtig. Sie strahlte mich an: »Ich lieeeebe Schawuot. Endlich kann ich mal etwas anderes zubereiten als immer nur diese Fleischgerichte!«

Der Tisch war überhäuft mit Früchten und Kuchen, und meine Welt war wieder in Ordnung. Nach dem süßesten Obst und jeweils drei Stücken Käsekuchen waren Dorit und ich bereit, uns auf den Weg in die Synagoge zu machen und die Nacht hindurch zu lernen. Nur die Männer in der Runde schienen noch dem saftigen Fleisch des Tscholents hinterherzutrauern und saßen müde, schlaff und regungslos am Tisch.

Seitdem weiß ich, warum Schawuot ein so unglaublich unterbewerteter Feiertag ist. Frauen lieben alles, was darin vorkommt: das Buch Ruth, weiße Kleidung, es geht um Bildung, Obst und Käsekuchen. Zum Glück fällt Schawuot dieses Jahr mit der Fußball-EM zusammen. Dann sind die Männer mit den Spielen abgelenkt, und wir können endlich in Ruhe Käsekuchen essen.

Camille Pissarro

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