Finale

Der Rest der Welt

Neulich habe ich wieder einen Liebesbrief im Kinderzimmer gefunden. »Liebste Mora«, stand da in krakeliger Erstklässlerschrift. »Ich liebe dich so. Du bist die beste Mora der Welt.« Herzchen, Blümchen, Vögelchen. Toll, dass meine Kids so auf ihre Lehrer abfahren.

Das wäre mir in ihrem Alter nicht im Traum eingefallen. Damals wehte ein ganz anderer Wind: Es waren die frühen 80er im Schwabenland. In der Grundschule herrschte Zucht und Ordnung, der Lehrer war das Schreckgespenst meiner kindlichen Albträume, und es wurde sehr viel Wert auf Charakterbildung gelegt.

Putzfrau Im Klartext: In der Schulküche helfen und Kartoffeln schälen, jeden Tag das Klassenzimmer feucht durchwischen, und alle paar Tage wurde ein unglückliches Kind zum »Zängeln« abkommandiert. Es musste mit einer überlangen Greifzange während der Pause den Schulhof reinigen, Apfelgriebsche, Cola-Dosen und angebissese Butterbrote aufsammeln. Durch diese Erlebnisse geprägt, lautet mein Lebensmottto: »Strictly no Cleaning«. Dafür kommt meine Putzfrau dreimal die Woche: Hat jemand etwas dagegen?

Umso schockierter war ich, eine Woche vor Pessach frühmorgens die altbekannten Marterinstrumente vor Emmas Klassenzimmer zu finden: Zwei dutzend Auflesezangen, Schrubber und Besen warteten dort auf die arme Emma und ihre Kumpels. Unverständlicherweise kam Emma jedoch freudestrahlend aus der Schule nach Hause und erzählte: Sie habe den ganzen Pausenhof putzen dürfen, jede Menge Chametz gefunden und einen Preis für die meisten aufgelesenen Kaugummis gewonnen. Und das von dem Kind, das im Haushalt freiwillig keinen Finger rührt.

Rabbiner Die ganze Woche war die Klasse putztechnisch unterwegs. Montag: Speisesaal, Dienstag: Klassenzimmer, Mittwoch: Büro des Schulrabbiners – seines Zeichens ein extremer Messie. Und jedes Mal war Emma der glänzende Star der Putztruppe. Emma höchstselbst brachte endlich den Chaos-Schreibtisch des Rabbiners auf Vordermann und gewann damit den Pessach-Putzpokal der Grundschule.

All das erschien mit Fotos ganz groß in der Schülerzeitung. Und es kam noch schlimmer: Die Klasse beschäftigte sich Donnerstag und Freitag intensiv mit dem Thema Putzen in Theorie und Praxis, sodass sich Emma am Freitagnachmittag vor mir aufbaute und eine Haushaltsputz-Philippika auf mich losließ. »In diesem Haushalt«, dozierte meine Tochter, liefen einige Dinge nicht so, wie sie sollten, und sie kramte ihre Frühjahrsputz-Checkliste hervor.

Whatsapp So habe sie zum Beispiel unschöne Streifen am Fensterglas bemerkt. Ob denn hier nicht mit Essig und Fensterleder gearbeitet wird? Außerdem habe sie Flusen unter dem Sofa entdeckt, und der Backofen gehöre dringend mal gescheuert. All dies hatte sie akribisch mit einer Fotoserie dokumentiert und auf meinem Handy gespeichert. Sie habe sich zudem erlaubt, die Fotos per Whatsapp meiner Putzfrau zukommen zu lassen und habe um mehr Sorgfalt gebeten.

Dass meine Putzfrau daraufhin empört das Handtuch warf, wird niemanden wundern. Dass mir daraufhin nichts anderes übrigblieb, als mein Konto zu leeren und uns in das billigste Pessachhotel weltweit einzubuchen, verwundert ebensowenig: So werde ich dieses Jahr im Slovenska Plaza in Montenegro absteigen und hoffe, diese Erfahrung einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Ihnen allen wünsche ich ein ebensolches koscheres und niedrigpreisiges Pessach.

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

 29.06.2025

Glastonbury

Polizei prüft Videos der Festival-Auftritte auf strafrechtliche Relevanz

Festival-Organisatoren: Parolen von Bob Vylan hätten eine Grenze überschritten

 29.06.2025

Literatur

Österreicherin Natascha Gangl gewinnt Bachmann-Preis 2025

Ihr poetischer Text »DA STA« begibt sich auf die Suche nach den versteckten Spuren eines NS-Verbrechens

 29.06.2025