Finale

Der Rest der Welt

Nach Russland also, schlägt Putin gönnerhaft vor. Juden könnten doch einfach zurückkommen, ins mütterliche Russland. An den Busen der Wolga, ins Herz des Kremls. Nachdem sie über Jahrzehnte vor dem sämtliche Religionen verachtenden Regime zu Hunderttausenden in den Westen flohen. Natürlich, wieso auch nicht? Nun frage ich mich, im Kopf die harten sowjetischen Winter, ob Putin Juden lediglich lieber als Muslime sind, oder ob wir, die ewig Geplagten, einen neuen Freund mit zweifelhaften Absichten in unserem Kreise wissen dürfen.

Denn in einer Welt, deren Grenzen zunehmend verschwinden, wird auch die Unterscheidung zwischen Freund und Feind von Tag zu Tag mühsamer.

Zeitpunkt Dies fiel mir vor Kurzem wieder auf, als ich das Vergnügen hatte, mit einem mir zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Philosemiten ein Glas Wein trinken zu dürfen. Jegliche Versuche, über alles andere, jedoch nicht über meine Religion zu sprechen, wurden mit den Worten »Ja ja, interessant. Aber jetzt erzähl doch mal: Jüdin, also, ich meine, das ist ja echt spannend« abgetan.

Schon nach wenigen Minuten erdrückte mich seine christlich-messianische Liebe. Ich ertrank nicht an meinem Shiraz, sondern in einem Meer aus Klezmer, Kafka und Mendelssohn. Nun könnte man mir vorwerfen, dass zehn Philosemiten ohne Frage besser seien als fünf Antisemiten – unter uns: Da bin ich mir nicht so sicher. Ich arbeite gerne mit Fakten. Ob Hass, Liebe, Wut oder Missgunst: Sag mir, was du fühlst, und ich mag dich für das, was du bist. Bin ich dein Freund, so erwarte ich von dir Kritik, Reflexion, Ehrlichkeit. Keine bedingungslose Liebe für das, in das ich zufällig hineingeboren wurde.

Mosaisch Philosemiten, anders als Menschen, die dem Judentum lediglich wohlgesinnt sind, finden es wahnsinnig schick, sich mit Rosenbergs, Wassersteins und Blumenfelds zu umgeben. Sie baden in der Aura jüdischer Intellektueller, weinen bittere Tränen an jedem Holocaust-Gedenktag und würden sich, wenn es hart auf hart käme, in jede Kugel schmeißen, die für einen ihrer mosaischen Freunde gedacht war. Welch edlere Wiedergutmachung könnte es geben?

Natürlich, für jene, die hinter jedem Busch einen Antisemiten wittern und sich, als Mensch und Individuum, auf ihre Religion reduzieren, sind Philosemiten, Judenfreunde, nennt sie wie ihr wollt, ein Segen in einer zunehmend antisemitischen Umwelt.

Dass ich echt Glück hätte. »So, mit diesem ganzen Netzwerk.« Zudem findet er es »total gut, dass sich Juden überall so unterstützen, zu Jobs verhelfen.« Deswegen würde er »auch gerne Jude sein«, ließ er mich wissen, während ich die letzten Tropfen Wein meine Kehle hinunterlaufen ließ. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Aphorismus von der bekennenden Kabbalistin Madonna oder dem bedeutenden Mönch Bernhard von Clairvaux stammt: »Der Pfad zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert« – damit ist dann wohl alles gesagt.

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  11.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025