Finale

Der Rest der Welt

Alles begann damit, dass die Kinder mit einem kleinen Liedchen aus der Schule nach Hause kamen, das sie nonstop im Duett sangen. Dabei pressten sie stets dramatisch die Hand aufs Herz und starrten mit tragischem Augenaufschlag an die Decke: Das Lied war so wehmütig, dass es mir jedes Mal die Tränen in die Augen trieb. Ich bekam es bald nicht mehr aus dem Kopf, obwohl es in irgendeiner unverständlichen Sprache war – vielleicht Türkisch oder Spanisch.

Die Kinder sagten mir, es sei aus einer Oper und heiße »Ewiditsche« oder so ähnlich: Ich begann, wie wild zu googeln, und kam irgendwann darauf, dass es sich um niemand Geringeren als Eurydike handelte. Das Liedchen war also die berühmte Klage-Arie aus der Oper Orfeo ed Euridice, und unsere Schule war unglaublicherweise auserwählt worden, dieses Stück auf den geheiligten Bühnen der Antwerpener Oper aufzuführen.

Von nun an gingen Mitarbeiter der Oper in der Schule ein und aus. Es gab einen Voice-Coach, einen Dramaturgen, ein ganzes Team der weltbesten Profis, das unsere musisch völlig unbegabten Gören dazu bringen sollte, auf der Bühne zu brillieren.

Die Kinder redeten von früh bis spät von nichts anderem mehr. Sie trällerten und rezitierten morgens über ihren Cornflakes und abends beim Zähneputzen. »Wer«, fragte ich eines Abends, »spielt denn eigentlich Eurydike in eurer Oper?« »Ich«, sagte meine Tochter Emma, warf sich in Pose, betrachtete sich verliebt im Badezimmerspiegel. Dann teilte sie mir mit, dass sie für ihren großen Auftritt in der Antwerpener Oper eine Maskenbildnerin, eine Garderobenfrau und einen Haarstylisten habe. Dass sie auf strenger Diät sei und ihre lilienweißen Hände nicht mehr mit niederer Hausarbeit beschmutzen dürfe. »Warum haben sie dich für die Rolle ausgesucht?«, fragte ich vorsichtig. »Wegen meiner Haare, und weil ich die Schönste bin«, meinte Emma.

Hauptrolle Sofort rief ich alle meine Freundinnen an und gab groß mit Emmas Hauptrolle als Eurydike an. »Blödsinn«, behauptete meine Freundin Lea. Ihre Tochter sei Eurydike. »Ihr irrt euch beide«, meinte schnippisch meine Freundin Rivka. »Die Eurydike spielt niemand Geringeres als meine Tochter.« Es folgten einige wütende Anrufe beim Schuldirektor, und es stellte sich heraus, dass die Oper in einer hochmodernen Multimedia-Inszenierung stattfinden sollte. Mit einer Vielzahl von Eurydikes.
Daraufhin knallten die Kinder zimmertüren gleich in mehreren Locations wütend zu.

Das Abendbrot wurde verweigert. Es folgten dramatische Heulorgien, Freundschaften wurden gekündigt und Klassensitzplätze getauscht. Eine Woche vor der Vorstellung beschloss meine Freundin Rina, die fünf Grazien in ihrem Kosmetikstudio bei einem Spa-Aufenthalt zu versöhnen. Das gelang, und die fünf Diven genossen glücksstrahlend und händchenhaltend die Standing Ovations und den Blumenregen nach der Aufführung. Kommendes Jahr hat die Schule beschlossen, mit dem Antwerpener Ballett Schwanensee aufzuführen. Falls ihr noch einen richtig fertigen, abgekämpften und ausgelaugten sterbenden Schwan sucht: Nehmt doch einfach mich. Margalit Edelste

Frankfurt am Main

Bildungsstätte Anne Frank zeigt Chancen und Risiken von KI

Mit einem neuen Sammelband will sich die Institution gegen Diskriminierung im digitalen Raum stellen

von Greta Hüllmann  19.04.2024

Kunst

Akademie-Präsidentin gegen Antisemitismus-Klausel

»Wir haben ein gutes Grundgesetz, wir müssen uns nur daran halten«, sagt Jeanine Meerapfel

 19.04.2024

Jehuda Amichai

Poetische Stimme Israels

Vor 100 Jahren wurde der Dichter in Würzburg geboren

von Daniel Staffen-Quandt  19.04.2024

Antisemitismus

Zentralrat der Juden äußert sich zu Hallervordens Gaza-Video

Das Gaza-Gedicht des Schauspielers wurde in den vergangenen Tagen massiv kritisiert

 19.04.2024

Streaming

»Bros«: Zwei Trottel, eine Bar

Die erste rein hebräischsprachige und israelische Original-Produktion für Netflix ist angelaufen

von Ayala Goldmann  18.04.2024

Interview

»Deutschland ist eine neurotische Nation«

Bassam Tibi über verfehlte Migrationspolitik, Kritik an den Moscheeverbänden und Ansätze für islamische Aufklärung

von Christoph Schmidt  18.04.2024

Verschwörungstheorien

Nach viel kritisiertem Israel-Hass-Video: Jetzt spricht Dieter Hallervorden

Der Schauspieler weist die Kritik an seiner Veröffentlichung zurück

 18.04.2024

Venedig

Israelhasser demonstrieren bei Kunstbiennale

Die Demonstranten forderten einen Boykott israelischer Künstler

 18.04.2024

Klassik

Eine Liebeserklärung an die Mandoline

Der israelische Musiker Avi Avital verleiht Komponisten wie Bach oder Vivaldi einen unverwechselbaren neuen Touch

von Christine Schmitt  18.04.2024