Finale

Der Rest der Welt

Ich bin nicht der Meinung, dass das Leben die besten Geschichten schreibt. Ich finde, dass ich die besten Geschichten schreibe. Die Geschichten, die das Leben schreibt, haben den großen Nachteil, dass sie wahr sind. Meine Geschichten sind nicht wahr. Ich sage das dann aber auch immer gleich dazu. »Das, was ich da gerade erzählt habe, ist nicht wahr.« Das ärgert manche Menschen, weil sie für so etwas keine Zeit haben.

Was ich jetzt erzähle, ist wahr. Es ist sozusagen eine Geschichte, die das Leben geschrieben hat, und ich erzähle sie nur, weil sie mich ziemlich beschäftigt.

Odeonsplatz München. Ich steige in die U-Bahn ein, Haltestelle Stachus. Ein etwa 60-jähriges Paar drängt sich an mir vorbei, will nach draußen, dabei höre ich, wie die Frau zu ihrem Mann sagt: »Ich finde, wir sollten einen Juden einstellen.« Zack. Tür zu. »Nächster Halt: Odeonsplatz«.

Das ist die ganze Geschichte. Wirklich ganz ist sie nicht, aber das eben macht ihre Faszination aus. Und ich weiß jetzt, wie es ist, mit der Frage zu leben, warum jemand der Meinung sein könnte, es wäre nicht schlecht, einen Juden einzustellen. Das ist ein sonderbarer Zustand. Manchmal ist er auch praktisch.

Wenn keiner mehr etwas zu sagen hat, sage ich: »Also, ich in die U-Bahn rein, Mann und Frau raus, meint sie zu ihm: Ich finde, wir sollten einen Juden einstellen.« Das weckt Geister. »Antisemitismus«, urteilten meine Freundinnen und bestellten sich noch einen Cappuccino. Ach Mädels, es muss da doch noch andere Möglichkeiten geben! Vielleicht besitzt dieses Paar einen Lebensmittelladen, und jetzt will es diesen Lebensmittelladen um eine koschere Ecke mit Fachberatung erweitern. »Wir sollten einen Juden einstellen.« Passt doch. Oder vielleicht existiert ja so eine Redensart: »Wir sollten einen Juden einstellen« im Sinne von: »Wenn die Geschäfte schlecht laufen, muss man handeln.«

Goj Oder könnte ja sein, die beiden sind selbst Juden. Warum denn nicht? Die beiden sind selbst Juden und führen eine große Bäckerei für Mazzot, und in dieser Bäckerei für Mazzot gibt es einen Gesellen, einen Goj, der auf seinem Bäckerfahrrad zu Pessach immer die Mazzot ausfährt, und das findet der Rabbiner nicht in Ordnung, und jetzt sagt die Frau, weil sie das letzte Pessachfest noch gut in Erinnerung hat: »Wir sollten einen Juden einstellen.« Passt schon wieder!

Und jetzt verstehe ich auch, warum der Mann nach dieser Bemerkung seiner Frau – »Ich finde, wir sollten einen Juden einstellen« – ein wenig unglücklich ausgesehen hat. Er hat darüber nachgedacht, wie er das wohl dem Goj, den er eigentlich mag, beibringen soll.

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

 29.06.2025

Glastonbury

Polizei prüft Videos der Festival-Auftritte auf strafrechtliche Relevanz

Festival-Organisatoren: Parolen von Bob Vylan hätten eine Grenze überschritten

 29.06.2025

Literatur

Österreicherin Natascha Gangl gewinnt Bachmann-Preis 2025

Ihr poetischer Text »DA STA« begibt sich auf die Suche nach den versteckten Spuren eines NS-Verbrechens

 29.06.2025