Interview

»Der Papst war antijudaistisch«

Saul Friedländer Foto: Philipp Rothe

Herr Friedländer, eines Ihrer ersten Bücher handelt von Papst Pius XII. Wie stand seine Kirche zu den Nazis?
Die Kirche allgemein war passiv und wollte sich nicht gegen die Deutschen stellen. Pius XI. war ausgesprochen kritisch dem Nazismus gegenüber, aber sein Staatssekretär Pacelli war viel vorsichtiger, er war Diplomat, und als er selbst Papst wurde, Pius XII., hat er mit Appeasement angefangen. Ein religiöser Antijudaismus zeigt sich in vielen seiner Zitate.

Was unterscheidet diesen Antijudaismus vom Antisemitismus?
Religiös gesehen sind Sie ein neuer Mensch, wenn Sie getauft sind. Im rassischen Antisemitismus gibt es kein Entkommen. Es gab den St.-Raphaels-Verein, der sich um getaufte Juden gekümmert hat. Die waren ja Christen, aber für andere hat man nichts unternommen.

Wusste der Papst von der Judenverfolgung?
Ja, jüdische Organisationen haben ihm 1942 durch den Nuntius in der Schweiz einen ausführlichen Bericht geschickt. Auch durch die Alliierten, das Rote Kreuz und die kirchlichen Gesandten kamen Informationen.

Wirkte sich die Passivität des Papstes auf die katholischen Gläubigen aus?
Selbstverständlich gab es Menschen, die halfen – ich selbst war ja in einem katholischen Internat –, aber das war eine Minderheit. Wenn mehr Menschen etwas gesagt hätten, hätten vielleicht auch mehr Leute geholfen.

Pius XII. soll heiliggesprochen werden. Wie beurteilen Sie die jetzige Kirche?
Sie betreibt Gegen-Propaganda. Die Unterlagen für die Zeit des Krieges sind uner Verschluss, und ein Strom von Pseudo-Historikern will diesen Papst unbedingt verteidigen.

Ist Antisemitismus in der Kirche heute noch geduldet?
Ja, man hat etwa den Erzbischof und Holocaustleugner Williamson nicht aus der Kirche geworfen. Es gibt eine Regression seit dem zweiten Vatikankonzil. Es gab einen Moment, in dem man sich dem Judentum geöffnet hat, und jetzt geht es ins Traditionelle zurück.

Mit dem israelischen Holocaustforscher sprach Veronique Brüggemann.

TV-Tipp

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Drama über einen jüdischen Belgier, der als angeblicher Perser in einem Konzentrationslager einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll

von Michael Ranze  21.01.2025

Meinung

Wenn Freunde peinlich werden

Das Auswärtige Amt hat einem deutsch-israelischen Stand bei der Frankfurter Buchmesse eine Absage erteilt. Ein Armutszeugnis für Außenministerin Baerbock, findet unsere Redakteurin Ayala Goldmann

von Ayala Goldmann  21.01.2025 Aktualisiert

Aufgegabelt

Tzimmes

Rezepte und Leckeres

 21.01.2025

Interview

»Vornamen prägen«

Rabbiner Dovid Gernetz über den beliebtesten Babynamen in Deutschland und seine jüdischen Wurzeln

von Mascha Malburg  21.01.2025

Kindertransport

Historischer Fund

Rund 10.000 jüdische Kinder konnten den Nazis nach dem Novemberpogrom von 1938 entkommen. Die Forscherin Amy Williams entdeckte in Yad Vashem fast die gesamten Transportlisten

von Bill Niven  21.01.2025

Literatur

Die Heimatsuchende

Heute vor 50 Jahren starb Mascha Kaléko. Ihre Dichtung bleibt erschreckend aktuell

von Nicole Dreyfus  21.01.2025

Kulturkolumne

Gogol oder Döblin?

Warum die Liebe zur Literatur stärker ist als Hass auf ein Regime

von Eugen El  20.01.2025

Imanuels Interpreten (4)

Lalo Schifrin: Der Alleskönner

Das argentinische Genie komponiert alles – von Bossa Nova bis hin zu Sinfonien. Seine bekannteste Komposition dürfte die Filmmusik für »Mission Impossible« sein

von Imanuel Marcus  20.01.2025

Kommentar

Bleibt stark, Emily, Romi und Doron!

Die drei jungen Frauen sind endlich in Israel. Emily Damari gab nach ihrer Freilassung ein Zeichen, das ihren Schmerz zeigt – aber viel mehr noch ihre Kraft

von Katrin Richter  19.01.2025